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«Bei den Arbeitgebern muss ein Mentalitätswandel stattfinden»

Sonntag, 07.05.2017

Wer mit 55Plus die Arbeit verliert, braucht deutlich länger, um wieder eine Stelle zu finden. Das liegt einerseits an den Arbeitgebern, wo ein Umdenken stattfinden müsse, sagt der Arbeitgeberpräsident. Umdenken müssen aber auch betroffene Angestellte.

In den nächsten zehn Jahren werden etwa eine Million Erwerbstätige pensioniert. Die jüngeren Jahrgänge sind zahlenmässig kleiner. In zehn Jahren werden auf dem Schweizer Arbeitsmarkt also rund 400‘000 Mitarbeitende fehlen. Die über 55-Jährigen würden deshalb dringend gebraucht, sagt Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Bei den Arbeitgebern müsse daher ein Mentalitätswandel stattfinden. Dies sei letztlich eine Frage der ökonomischen Vernunft.

Vogt relativiert jedoch; konkret seien rund 24‘000 Personen davon betroffen. Der Arbeitsmarkt umfasse jedoch 5 Millionen Erwerbstätige. Fakt sei aber, dass es im fortgeschrittenen Alter deutlich länger dauere, bis man wieder eine Stelle finde, wie er einräumt.

Ältere Arbeitnehmende müssen umdenken

Um dies zu ändern, müssten aber auch die „Ü 55“ ihren Teil dazu beitragen. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass Leute zum Teil verklärte Vorstellungen vom Arbeitsmarkt hätten. Dass ihnen quasi ein Job zustehe und auch das bisherige Gehalt. Viele könnten zudem nicht mit der Vergangenheit abschliessen, seien oft voller Zorn und erschwerten sich so selbst die Stellensuche.

«Stellen von Schweizern werden nicht mit Ausländern ersetzt»

Dass grosse, börsenkotierte Konzerne wie etwa Nestlé oder Swisscom zunehmend auf Ausländer setzen, will Vogt nicht gelten lassen. Eine Umfrage der «Tagesschau», welche dies belegt haben soll, war auch Sicht Vogts «tendenziös». Diese habe den Eindruck vermittelt, dass Stellen von Schweizern mit Ausländern ersetzt worden seien. Dem sei jedoch nicht so, wie Vogt betont. Die befragten 15 Konzerne würden insgesamt 100‘000 Arbeitnehmende beschäftigen. Das sei ein Bruchteil aller Arbeitsplätze. Die Zuwanderungszahlen seien ja insgesamt stark rückläufig und seien am Ende so tief wie zuletzt vor zehn Jahren gewesen.

Die Stellenmeldepflicht soll die Inländerbeschäftigung erhöhen

Ausserdem liege das Problem nicht bei diesen Unternehmen, wie Vogt weiter erklärt. Es liege anderswo: Im Kanton Zürich etwa sei die grösste Zuwanderung jene der Portugiesen. Und die grösste Arbeitslosigkeit habe man bei den Portugiesen. Hier setze die Stellenmeldepflicht an, die das Parlament zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative beschlossen habe. Der SAV setze sich für eine wirksame Umsetzung ein. Er gehe davon aus, dass man so zusätzliche 6‘000 bis 10‘000 Stellen mit Inländern besetzen könne. Allerdings hänge dies von den Arbeitgebern ab. Und wenn das Ganze ein Papiertiger bleibe, sei dies ein Problem. Die Bevölkerung müsse die Wirkung des Inländervorrangs spüren.

Der Verlust der Bilateralen würde Wirtschaft und Wohlstand stark schwächen

Von der Kündigung des Freizügigkeitsabkommens hält Vogt nicht viel. Denn mit der Personenfreizügigkeit stelle man direkt auch die Frage nach den Bilateralen. Zwar werde die Schweiz irgendwie immer überleben. Die Frage sei aber, wie man überleben wolle. Denn mit dem Verlust der Bilateralen würde man die Schweizer Wirtschaft und damit den Wohlstand stark schwächen.

Die Schweiz habe ein Vertragsgeflecht mit der EU, das für sie im Moment ideal sei. Abseitsstehen mit einem Freihandelsabkommen sei unrealistisch. Denn man könne nicht einfach darauf hoffen, dass die anderen Staaten der Schweiz dann entgegenkommen und ähnlich gute Vertragsbedingungen anbieten würden.

Es sei zwar richtig, dass die Abhängigkeit der Schweiz von der EU prozentual sinke. Zu bedenken seien aber die Dimensionen: Der gesamte Handel etwa mit China sei so gross wie der Austausch mit der Lombardei. Und der Austausch mit Baden-Württemberg und Bayern entspreche ungefähr dem Handelsvolumen mit den USA und Japan zusammen.

Die Wirtschaft muss noch mehr aufklären

Tatsache ist: An der Urne wird längst nicht mehr so wirtschaftsfreundlich abgestimmt wie früher, was sich bei der «Abzocker»-Initiative, der Masseneinwanderungsinitiative oder der USR III gezeigt habe. Um diesen Trend zu kehren, muss die Wirtschaft noch mehr aufklären, sachlich argumentieren und auch die Arbeitgeber motivieren, sich aktiv an der politischen Diskussion zu beteiligen, rät Vogt. Es gebe kaum noch Unternehmer, die Wirtschaftsfragen in die Politik tragen würden. Der Leidensdruck scheine so gross nicht zu sein.

Globale Grosskonzerne schaffen auch in der Schweiz Jobs

Dass die Menschen «die Wirtschaft» zunehmend als etwas Abstraktes wahrnehmen, hat laut Vogt unter anderem auch mit der Globalisierung zu tun. Internationale Konzerne beschäftigten weltweit deutlich mehr Mitarbeitende als in der Schweiz, stellten Produkte für die ganze Welt her und beschäftigten auch in der Schweiz viele Ausländer. Das alles befördere eine gewisse Entfremdung, gibt Vogt zu bedenken. Dabei könne die Schweiz stolz sein, dass so viele Grosskonzerne wie in keinem vergleichbaren Land ihren Sitz in der Schweiz hätten. Sie würden Jobs schaffen, auch in KMU, und überproportional viel Steuern in der Schweiz zahlen.

Dabei habe die Mobilität von grossen Firmen deutlich zugenommen, gibt Vogt zu bedenken. Unternehmen hätten hierzulande in den letzten zwölf Jahren rund 600‘000 Arbeitsplätze geschaffen. Warum baue Nestlé eine dritte Fabrik für Nespresso-Kapseln in der Schweiz und nicht in Frankreich? Weil die Rahmenbedingungen insgesamt für Nestlé noch stimmen und die Nestlé-Führung an die Schweiz glauben würden.

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