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«Sind wir bereit, die negativen Folgen der starken Währung zu tragen?»

Montag, 13.07.2015

Die Schweiz steht an einer Weggabelung. Ein Weg führt Richtung Hightech-Schweiz, der andere ins Mittelmass. Der starke Franken führt letztlich zu Deindustrialisierung und zum Verlust Zehntausender von Arbeitsplätzen, sagt Pierin Vincenz.

Mit der Aufgabe der Euro-Franken-Untergrenze im vergangenen Januar sind den exportorientierten Unternehmen in der Schweiz auf einen Schlag 20% des Umsatzes weggebrochen. Der Frankenkurs hat sich seither nicht erholt. Für Unternehmen, die im Massenmarkt tätig sind und nicht hoch spezialisierte Produkte anbieten, wir es deshalb immer schwieriger, wie der abtretende Raiffeisen-Chef und Präsident des Verwaltungsrats der Versicherungsgesellschaft Helvetia Pierin Vincenz im Interview gegenüber der «Schweiz am Sonntag» (vom 12.07.2015) erklärt.

Der Schweizer Franken wird überbewertet bleiben

Denn der Franken wird seiner Ansicht nach überbewertet bleiben. Gründe dafür nennt er mehrere; die Schweiz sei innovativ, habe eine geringe Staatsverschuldung, einen flexiblen Arbeitsmarkt und ein stabiles politisches System; Dinge also, welche die Schweiz zwar wolle. Diese seien aber auch Treiber einer starken Währung.

Die Einführung von Negativzinsen seitens der Nationalbank habe nicht dazu geführt, dass sich der Franken abschwäche, zumal der Kursgewinn auf den Währungen für Anleger immer noch attraktiver sei, als die 0.75% Negativzins, wie Vincenz betont. Die Auswirkungen auf die Vorsorgesysteme seien ausserdem noch schwer abzuschätzen.

Die Schweiz steht vor einer Auslagerungswelle

Somit bleibe den Unternehmen nichts anderes übrig, als innovativer zu werden, die Kosten zu senken und allenfalls die Produktion ins Ausland zu verlagern, fasst Vincenz zusammen. Bisher hätten die Abbaupläne nur in den Köpfen existiert, weil man noch gehofft hätte, dass sich der Franken wieder abschwäche. In den nächsten Monaten würden diese Pläne aber umgesetzt. Die Schweiz stehe vor einer Auslagerungswelle.

Ein starker Franken führt zum Verlust von Zehntausenden von Arbeitsplätzen

Es brauche jetzt eine grundlegende gesellschaftspolitische Debatte über die Vor- und insbesondere die Nachteile des starken Frankens. So müsse sich die Schweiz fragen, ob sie bereit sei, die negativen Folgen der starken Währung zu tragen. Ein starker Franken führe letztlich zu Deindustrialisierung und dem Verlust von Zehntausenden von Arbeitsplätzen. Entscheide sich die Schweiz für einen starken Franken, werde es den Werkplatz, wie sie ihn heute kenne, nicht mehr geben.

Die Schweiz steht vor einer Weggabelung

Die Frage, ob die Schweiz an einer Weggabelung steht, bejaht Vincenz. Der eine Weg gehe in Richtung mehr Spezialisierung und hochleistungsfähiger Hightech-Schweiz. Der andere führe in Richtung Anpassung ans europäische Umfeld, Richtung Mittelmass. Er findet es jedoch besser, wenn sich die Schweiz weiter spezialisiere und sich nicht dem Mittelmass angleiche. Man müsse sich indes bewusst sein, dass dieser Weg auch etwas koste.

Die Spezialisierung kann zulasten der sozial Schwächeren gehen

Eine solche Entwicklung könne zulasten der sozial Schwächeren gehen. Der Graben zwischen den besser Ausgebildeten, Gutverdienenden, zu solchen, die mit dieser Entwicklung nicht mithalten könnten, würde grösser werden. Um das abzufedern, müssten andere soziale Auffangnetze gespannt werden. Es stellten sich aber auch ganz konkrete Probleme.

Es braucht exzellent ausgebildete Arbeitskräfte und mehr Infrastruktur

Eine solche Entwicklung Richtung Spezialisierung würde auch bedeuten, dass die Schweiz vermehrt exzellent ausgebildete Arbeitskräfte ins Land holen müsse, um noch wettbewerbsfähiger zu werden. Die Diskussion, ob die Schweiz dazu bereit sei, finde jedoch nicht statt. 

Man müsse internationale Schulen anbieten können. Und zwar nicht nur in der Region Zürich, sondern auch auf dem Land. Man müsse flexibler werden, um die besten Leute ins Land zu holen. Diese würden ihre Familien mitbringen, dafür brauche es Schulen. Derzeit laufe alles in die andere Richtung und vieles werde komplizierter. Das werfe die Schweiz ins Mittelmass zurück. Auch müsse man zwischen Basel und Lugano, und St. Gallen und Genf neue Transportkapazitäten aufbauen. Heute sei alles verstopft: die Bahn und die Strasse.

Man ist nicht mehr bereit, grosse Projekte anzupacken

Die Schweiz müsse davon ausgehen, dass sie in den nächsten Jahren 9 bis 10 Millionen Einwohner zählen werde. Die Frage sei aber, ob man aktuell genügend in die Infrastruktur investiere, die ein solches Wachstum tragen könne. Er glaube nicht, wie Vincenz sagt, da man nicht mehr bereit sei, grosse Projekte anzupacken. Es brauche eine Grundsatzdebatte über die Zukunft der Schweiz, so sein Fazit.

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