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«Es ist zu früh, abschliessende Aussagen darüber zu machen, wie die Wirtschaft längerfristig betroffen sein wird»

Dienstag, 25.08.2015

Die Nationalbank geht davon aus, dass die Schweizer Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2015 wieder auf einen Wachstumspfad finden und sich der Franken längerfristig abwerten wird. Sie will bei Bedarf aber weiterhin am Devisenmarkt intervenieren.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) rechnet damit, dass die Schweizer Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2015 wieder auf einen Wachstumspfad zurückkehren wird. Für das ganze Jahr 2015 erwartet sie keine Rezession, sondern ein Wachstum von knapp 1%, wie SNB-Präsident Thomas Jordan in einem Interview mit der «Unternehmer Zeitung» vom Dienstag äussert. Er schränkt allerdings ein, dass der Verlauf der (Welt-) Wirtschaft zentral sei.

Der Franken ist deutliche überbewertet

Obwohl die SNB zusammen mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses die Zinsen noch weiter ins Negative gesenkt hat, wodurch die Zinsdifferenz zum Ausland wieder etwas ausgeweitet werden konnte, was Anlagen in Schweizer Franken gegenüber anderen Währungen weniger attraktiv machen sollte, und bei Bedarf weiterhin am Devisenmarkt aktiv ist, hat sich der Franken bisher kaum im erwünschten Masse abgeschwächt. Thomas Jordan gibt zu, dass der Franken nach wie vor deutlich überbewertet sei, vor allem im Verhältnis zum Euro.

Das Gedankenspiel, dass die ständigen Leistungsbilanzüberschüsse der Schweiz eigentlich vermuten liessen, die helvetische Währung sei nicht zu hoch, sondern zu tief bewertet, erklärt Thomas Jordan damit, dass dies die Folge einiger Eigenheiten der Schweizer Wirtschaft sei, welche wenig mit der Wechselkurssituation zu tun habe. Sicher trage die reduzierte Bereitschaft des Privatsektors, den Leistungsbilanzüberschuss wieder im Ausland anzulegen, aber zum Druck auf den Franken bei.

Unternehmen müssen sich innovativ und flexibel auf die Situation einstellen

Es sei insgesamt aber zu früh, abschliessende Aussagen darüber zu machen, wie die Schweizer Wirtschaft längerfristig vom überbewerteten Franken betroffen sein werde, erklärt er. Sicher sei, dass der Preisdruck zugenommen habe. Längerfristig entscheidend werde sein, wie innovativ und flexibel die Unternehmen sich auf die neue Situation einstellen könnten.

Wichtig für die Bewältigung der Herausforderungen seien auch generell gute Rahmenbedingungen. Die grosse Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und gleichzeitig die hohe Loyalität der Mitarbeitenden mit ihren Unternehmen seien zweifellos ganz grosse Stärken des Standortes Schweiz.

Spätere Aufhebung des Mindestkurses hätte viel höhere Kosten verursacht

Thomas Jordan verteidigt den Entscheid der Zentralbank, den Euro-Mindestkurs aufzugeben, nach wie vor. Zwar sei der SNB bewusst, dass sich durch die Aufwertung des Frankens die Lage für viele Unternehmen in der Schweiz erschwert habe und das Wachstum nun tiefer ausfalle.

Der Mindestkurs sei aufgrund der veränderten internationalen Lage Anfang 2015 jedoch nicht mehr nachhaltig gewesen. Ein Hinauszögern des Entscheids habe zu einer explosionsartigen Ausdehnung der SNB-Bilanz geführt, ohne den Druck auf den Franken zu reduzieren. Die SNB hätte riskiert, die Kontrolle über die zukünftige Geldpolitik zu verlieren. Eine spätere Aufhebung des Mindestkurses hätte im Vergleich zur jetzigen Situation somit viel höhere Kosten verursacht, gibt sich Thomas Jordan überzeugt.

Die Bargeldversorgung in der Schweiz ist garantiert

Die Frage, ob die SNB erwäge, ein Bargeldverbot oder eine Bargeldverteuerung einzuführen, um die Negativzinspolitik besser durchsetzen zu können, verneint Thomas Jordan klar. Ein Bargeldverbot in der Schweiz sei überhaupt kein Thema. Die SNB sei vom Gesetzgeber aufgefordert, für die Bargeldversorgung in der Schweiz zu sorgen.

SNB interveniert bei Bedarf am Devisenmarkt

Für die immer wieder erwähnten Möglichkeiten der SNB, den Franken an einen Währungskorb anzubinden oder Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, sieht Thomas Jordan zurzeit keinen Anpassungsbedarf. Die gegenwärtige Geldpolitik der SNB sei auf die Negativzinsen und die Bereitschaft ausgerichtet, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren. Beides glaubt er werde die Überbewertung des Frankens über die Zeit reduzieren.

Konfrontiert mit der Aussage, dass die UBS beobachtet haben wolle, die SNB habe vor kurzem bei 1.03 Franken für den Euro einen neuen nicht deklarierten Mindestkurs eingeführt, und damit, dass die Credit Suisse von einem geheimen Währungskorb spreche, entgegnet Thomas Jordan erneut, dass die SNB bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv werde. Dabei berücksichtige sie jeweils die Wechselkurssituation insgesamt.

Der Vorschlag, Staatsfonds einzurichten, basiert auf Missverständnissen

Von der Idee, Staatsfonds einzurichten, um die Devisenüberschüsse in ausländische Wertschriften und Immobilien zu investieren, wodurch der Franken schwächer würde und ausserdem Erträge erwirtschaftet würden, hält Thomas Jordan nichts. Diese Vorschläge basierten auf Missverständnissen, wie er erklärt.

Erstens helfe ein mit SNB-Devisenreserven alimentierter Staatsfonds nicht, den Franken zu schwächen, da die Devisenreserven bereits in ausländische Wertschriften investiert seien.

Zweitens könnten Devisenreserven der SNB nicht einfach so auf einen Staatsfonds übertragen werden. Die Devisenreserven der SNB seien durch Geldschöpfung entstanden, was bedeute, dass die Aktivseite (Devisenreserven) und die Passivseite (Giroguthaben der Banken) der SNB-Bilanz gleichzeitig betroffen seien. Bei einer Übertragung müsse ein Staatsfonds die Devisenreserven der SNB deshalb abkaufen. Dies wiederum habe Auswirkungen auf die Geldpolitik, wenn es deswegen zu einer Schrumpfung der Geldmenge komme.

Drittens bewirtschafte die SNB ihre Devisenreserven professionell, ähnlich wie dies Staatsfonds täten. Zwar müssten die Devisenanlagen primär liquid und sicher sein, damit die geldpolitische Handlungsfähigkeit jederzeit gewährleistet sei. Aber die Zusammensetzung der Devisenreserven habe sich in den letzten Jahren stark entwickelt. So habe die SNB heute ein breit diversifiziertes Portfolio mit vielen verschiedenen Währungen und Anlageinstrumenten. Insbesondere habe sie auch den Anteil der Aktien ausgebaut.

Für eine Entwarnung am Immobilienmarkt ist es zu früh

Nicht zuletzt wegen der Negativzinsen kann auf dem Eigenheimmarkt noch längst keine Entwarnung gegeben werden. Auf Massnahmen angesprochen, welche die SNB hier noch im Köcher habe, erklärt Thomas Jordan, dass die SNB beim antizyklischen Kapitalpuffer noch etwas Raum nach oben habe. Im Moment verschärften sich die Ungleichgewichte nicht weiter, bleiben jedoch auf hohem Niveau. Die SNB beobachte die Situation daher genau. Für eine Entwarnung sei es jedenfalls zu früh.

Zur Person

Der Bieler Thomas Jordan (52) studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bern und an der Harvard University. 1997 trat er als wissenschaftlicher Berater in die Schweizerische Nationalbank ein. Im Finanzkrisenjahr 2007 ernannte ihn der Bundesrat zum Mitglied des Direktoriums, 2009 zum Vizepräsidenten dieses Gremiums und 2012 zum Präsidenten der SNB. Jordan ist Titularprofessor an der Universität Bern. Er ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen.

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