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Europa steht vor einer Rentenkrise

Dienstag, 16.08.2016

Die Menschen in den Industrienationen werden immer älter. Dennoch erwarten sie Renten, die den gewohnten Lebensstil sichern. Die staatlichen Rentensysteme und privaten Pensionspläne aber sind in Unterdeckung. Es droht eine Krise.

In den staatlichen Rentensystemen der 20 grössten OECD-Staaten fehlen insgesamt 78‘000 Milliarden Dollar, wie die US-Bank Citigroup in der Studie «THE COMING PENSIONS CRISIS» errechnet hat. Charles Millard, einer der Autoren der Studie, sieht darin eine «tickende Zeitbombe». Besonders gefährdet sind demnach Staaten wie Deutschland oder Frankreich, die umfangreiche staatliche Rentensysteme haben. Doch nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern auch in Italien, Grossbritannien, Portugal und Spanien sollen die Lücken bei den Pensionsverpflichtungen mehr als dreimal so hoch sein wie das jeweilige Bruttoinlandprodukt. Gemäss Studie beträgt das Niveau nicht finanzierter staatlicher Pensionsverpflichtungen in den OECD-Ländern im Schnitt 190% des Bruttoinlandprodukts. Hinzu kommt die berufliche Vorsorge; die Pensionspläne von vielen privaten Unternehmen weisen Unterdeckungen auf.

Die Menschen in der OECD werden immer älter

Den Hauptgrund für die Krise sehen die Autoren der Citigroup-Studie in der demografischen Entwicklung; die Menschen in den OECD-Ländern werden immer älter und die Geburtenraten sind rückläufig. So ist der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung der EU-Staaten zwischen 1970 und 2013 von 11.5% auf 18.4% gestiegen, wie Daten der OECD belegen. Die Citigroup-Studie prognostiziert für Europa bis 2050 einen weiteren Anstieg auf 26%; damit wird dann mehr als jeder Vierte in Rente sein.

Die Vorsorgevermögen müssen heute also viel länger ausreichen als zu jenem Zeitpunkt, als die Sozialversicherungssysteme eingeführt wurden. Damals erreichten nur wenige Menschen überhaupt das gesetzliche Rentenalter. Heute hingegen beträgt die Lebenserwartung nach der Pensionierung weitere rund 20 Jahre. Das zeigt sich auch in der Schweiz, wo den Frauen nach der Pensionierung im Schnitt noch 22,2 Lebensjahre und den Männern 19,2 Jahre (Stand 2015) bleiben.

Schlechtes Kapitalmarktumfeld erschwert den Vermögenszuwachs

Ein weiterer Grund für die sich anbahnende Rentenkrise ist das Kapitalmarktumfeld. Seit der Finanzkrise von 2008, als die Zentralbanken weltweit begannen, die Märkte mit billigem Geld zu fluten, sind die Zinsen stetig gesunken. Ein Ende der Tiefzinsphase ist vorerst nicht in Sicht, denn die Verschuldung der Staaten steigt weiter an und die Wirtschaft in vielen Ländern lahmt. 

Vorsorgeeinrichtungen wie auch Lebensversicherungen bekunden immer mehr Mühe, mit den extrem niedrigen bis teilweise negativen Zinsen noch ausreichend Rendite auf den Vorsorgevermögen zu erwirtschaften, um damit die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen zu können. Sie sehen sich je länger je mehr gezwungen, in riskantere Anlagen zu investieren. Damit sind sie den Schwankungen an den Finanzmärkten noch stärker ausgeliefert, warnen Experten.

Pensionskassen kürzen die Leistungen

Schlechtere Wirtschaftsaussichten, schmalere Gewinne, neue Rechnungslegungsstandards und der Druck, sich mittels guter Bonitätsratings am Kapitalmarkt günstig Geld beschaffen zu können, zwingen auch viele Unternehmen, ihre Pensionspläne zum Nachteil der Versicherten anzupassen. 

Immer mehr Pensionskassen kürzen deshalb nun die Leistungen. In einer Umfrage des SRF-Wirtschaftsmagazins «Eco» bei 16 Pensionskassen zum Thema Umwandlungssatz gab rund die Hälfte der grössten Schweizer Arbeitgeber (16 insgesamt) an, die Verzinsung im BVG-Überobligatorium gekürzt zu haben. Vier weitere wollten ein solches Vorgehen prüfen.

Schon heute verzinsen Schweizer Pensionskassen das Vorsorgekapital im überobligatorischen Teil zu einem Satz von durchschnittlich 5.7% und weniger, wie Hansruedi Scherer von PPCmetrics gegenüber Eco äusserte. Dies bedeute, dass Versicherte mit Renteneinbussen von rund zwei Milliarden Franken rechnen müssten, hat Eco errechnet. Die BVK Personalvorsorge des Kantons Zürich senkt den Umwandlungssatz im Überobligatorium ab 2017 gar auf 4.8% ab, und die Credit Suisse will dies schrittweise bis ins Jahr 2025 tun. Im BVG-Obligatorium liegt der gesetzlich Vorgeschriebene Zinssatz aber noch bei 6.8%.

Rentenkrise bahnt sich nur langsam an

Je stärker die Leistungen in der beruflichen Vorsorge sinken, desto mehr verlassen sich die Menschen auf die staatliche Altersvorsorge bzw. die «erste Säule». Hinzu kommt, dass nur wenige Länder, u.a. die USA, Grossbritannien, die Niederlande, Australien, Kanada und die Schweiz eine kapitalgedeckte «zweite Säule» kennen. Doch bahnt sich nun in der ersten Säule eine Rentenkrise an. Allerdings sehr langsam, wie Charles Millard bedauert. So habe man nie das Gefühl, dass es sich um eine echte Krise handle. Und ohne Krise tendierten die Menschen dazu, allfällige Korrekturen zeitlich zu verschieben.

Rentenalter muss nach oben angepasst werden

Die Autoren der Citigroup-Studie empfehlen den Regierungen, das Rentenalter stärker an die längere Lebenserwartung der Menschen anzupassen. Die Rente mit 70 Jahren erscheint somit als zunehmend realistisch. 

Private Altersvorsorge gewinnt an Bedeutung

Sie schlagen ausserdem vor, dass die staatlichen Renten nicht mehr das Haupteinkommen im Alter einbringen sollten, sondern künftig mehr als ein "Sicherungsnetz" genutzt würden. Das Gewicht verlagert sich somit vermehrt auf die private Altersvorsorge oder die «dritte Säule».

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