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«Eine Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes wäre ein Spiel mit dem Feuer»

Montag, 21.11.2016

Ökonomen der UBS äussern sich kritisch über eine Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes in der Tragbarkeitsrechnung. Eine zu lockere Hypothekarvergabe mache abhängig vom Tiefzinsumfeld und berge hohe Risiken für die Volkswirtschaft.

Die Zinsen in der Schweiz befinden sich seit längerem im Keller. Trotzdem berechnen Banken die Tragbarkeit von Hypotheken für Wohneigentum auf der Basis eines kalkulatorischen Zinssatzes von 4.5% bis 5.0%. Erste Hypothekarbanken fordern deshalb eine Reduktion des kalkulatorischen Zinssatzes auf 3%, da die jetzige Tragbarkeitsrechnung die Realität am Markt nicht mehr widerspiegle. Es sei wenig wahrscheinlich, dass der Satz einer zehnjährigen Festhypothek von aktuell rund 1.5% auf 5.0% ansteige. Bei einer Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes könnten sich junge Familien zudem wieder eher ein Eigenheim leisten, so das Argument. Doch eine Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes könne sich gerade für Familien als Bumerang erweisen – mit unerwünschten Folgen für die gesamte Volkswirtschaft, wie die "Subprime"-Krise in den USA deutlich gezeigt habe, kontern die Experten der UBS. 

Mit der Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes auf 3% steigt die Verschuldung noch schneller an

Rund 8% der Haushalte wären nicht mehr in der Lage, ihre Hypothekarzinsen zu bezahlen, sollte der Zinssatz um 2 Prozentpunkte ansteigen, wie eine vor wenigen Jahren durchgeführte repräsentative Umfrage bei privaten Haushalten ergeben hat. Trotz der weiter gesunkenen Hypothekarzinsen liessen sich diese Zahlen auf heute übertragen, da die Verschuldung absolut zugenommen habe, erklären die UBS-Experten. Der Zahlungsausfall dürfte sich dabei in erster Linie auf Schwellenhaushalte konzentrieren – also gerade auf jene Gruppe, die mit dem tieferen kalkulatorischen Zinssatz mehr Kredit aufnehmen könnte.

Die "Subprime"-Krise in den USA hat die möglichen Folgen einer Überschuldung und einer Wohneigentumsförderung durch eine zu grosszügige Kreditvergabe an Schwellenhaushalte aufgezeigt, wie die Ökonomen Matthias Holzhey und Claudio Saputelli vom Chief Investment Office WM der UBS anführen. Schon mit der jetzigen Regelung dürfte die Haushaltsverschuldung Ende 2017 knapp das Doppelte des verfügbaren Haushaltseinkommens der Schweiz erreichen, was im internationalen Vergleich extrem hoch ist, warnen sie.

Das Wirtschaftswachstum könnte sich abschwächen

Mit der Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes auf 3% würde die Verschuldung der Haushalte noch schneller steigen. Eine hohe Haushaltsverschuldung erhöhe jedoch die Anfälligkeit einer Volkswirtschaft bei einem Zinsanstieg, da ein grösserer Anteil des Haushaltseinkommens für die Schuldzinsen verwendet werden müsse. Die Folge sei unter anderem ein niedrigeres Wirtschaftswachstum.

Die Immobilienpreise würden erneut um bis zu 40% zulegen

Eine Lockerung der Tragbarkeitsnormen würde den Eigenheimpreisen massiven Schub verleihen, warnen die Experten weiter. Eine deutliche Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes würde zu einem neuen Gleichgewicht auf dem Eigenheimmarkt mit höherer Verschuldung und höheren Immobilienpreisen führen. Die Preise könnten bis 40% ansteigen. Haushalte mit tiefen Einkommen wären dann wiederum vom Eigenheimmarkt ausgeschlossen und die Abhängigkeit von anhaltend tiefen Zinsen nochmals bedrohlicher. Profitieren dürften davon Landeigentümer, während Mieter und künftige Eigenheimkäufer zu den Verlierern der Umverteilung zählen würden.

Die Wirkung fallender Hypothekarsätze ohne Verschuldungsobergrenzen lasse sich in Schweden beobachten: Von 2011 bis 2015 seien die Hypothekarsätze von 4% auf 1.6% gefallen, worauf die Eigenheimpreise mit jährlichen Wachstumsraten von bis zu 15% in die Höhe geschossen und insgesamt um fast 50% angestiegen seien.

Die Risiken für das Bankensystem und die Hypothekarnehmer würden steigen

Damit die Finanzierung seitens des Kunden auch in Hochzinsphasen gewährleistet ist, wird für die Berechnung der Tragbarkeit ein kalkulatorischer Zinssatz von 5% bei der Kreditvergabe verwendet. Der kalkulatorische Zinssatz ist also eine rechnerische Sicherheitsgrösse und kann nicht als Abbildung der erwarteten Marktzinsen interpretiert werden, wie die Experten betonen.

Würde beispielweise der kalkulatorische Zinssatz auf 3 Prozent gesenkt, könnte ein Haushalt ein Eigenheim mit dem Siebenfachen anstatt aktuell dem Fünffachen seines Bruttoeinkommens belehnen. Bereits bei einem Zinsanstieg von weniger als 2 Prozentpunkten würden die Wohnkosten die Hälfte des verfügbaren Einkommens übersteigen und wären somit untragbar. Dies impliziert laut den Experten nicht nur höhere Risiken im Falle einer Zinserhöhung, sondern auch merklich höhere Risiken für das Bankensystem und Hypothekarnehmer bei einem Rückgang des Einkommens oder der Hauspreise. Dies widerspreche den Richtlinien der Banken, die eine nachhaltige Tragbarkeit versprechen.

Der Effekt der eingeführten Selbstregulierungsmassnahmen würde teilweise verpuffen

Noch im Jahr 2006 sei die Tragbarkeitsregel ein Papiertiger gewesen, erklären die Experten. Das Durchschnittseinkommen habe problemlos ausgereicht, um ein mittleres Eigenheim zu finanzieren. Die Richtlinien der Banken zur Vergabe von Hypothekarkrediten hätten ihren Zweck in den letzten Jahren indes erfüllt: Die Sogwirkung der stetig fallenden Hypothekarzinsen auf die Eigenheimpreise sei gedämpft und der weitere Aufbau von Zinsrisiken verhindert worden.

Mit den verschärften Selbstregulierungsmassnahmen seien die Finanzierungshürden für die damaligen Schwellenhaushalte angehoben worden. Dies sei in erster Linie durch die lineare Amortisation innert 15 Jahren auf zwei Drittel des Belehnungswerts und durch die strengere Handhabung bei der Anrechnung der Zweiteinkommen erfolgt. Die strengere Kreditvergabe habe merklich zu einer Beruhigung der Immobilienpreise beigetragen.

Durch die Senkung des Zinssatzes würde man die Kreditvergabe wieder markant lockern, da sich auch niedrigere Einkommen wieder verschulden könnten. Der Effekt der eingeführten Selbstregulierungsmassnahmen würde teilweise wieder verpuffen, befürchten die Experten.

Bei 40% der vergebenen Neuhypotheken wird mit weniger als 5% gerechnet

Eine Bank müsse Ausnahmen von den eigenen Vorschriften zur Hypothekarvergabe mit mehr Kapital hinterlegen. In der Praxis liessen die Belehnungsregeln den Banken aber bereits heute einen grossen Interpretationsspielraum zu, wie die Experten aufzeigen. Häufig würden Ausnahmen gemacht und es werde teilweise mit kalkulatorischen Zinsen von 4.5% gerechnet.

Gemäss SNB überschreite das Hypothekarvolumen bei Neuhypotheken in 40% aller Fälle das Bruttoeinkommen um mehr als das Fünffache, was einen kalkulatorischen Zins unter 5% impliziere. Auch das der Tragbarkeitsrechnung zugrundeliegende Einkommen sei nicht in Stein gemeisselt. Die Definition von "nachhaltigen Einnahmen und Ausgaben des Kreditnehmers" sei dem jeweiligen Kreditinstitut überlassen.

Eine Flexibilisierung der Tragbarkeitsberechnung ist denkbar

Eine Amortisationsverpflichtung von 2% in Verbindung mit der Pflicht, eine langfristige Hypothek abzuschliessen, lässt auch einen kalkulatorischen Zins von 4% noch als nachhaltig erscheinen. Idiosynkratische Risiken für Schwellenhaushalte (zum Beispiel eine Scheidung) sind aber hoch und dürften langfristige Hypotheken teuer machen, mahnen die Experten. Bei einem kalkulatorischen Zins von 3% sei eine Erhöhung der Amortisation als Kompensation für die zusätzliche Belehnung hingegen kaum möglich, da der finanzielle Spielraum beschränkt sei.

Eine höhere Verschuldung in Kombination mit einer höheren Amortisation würde auch dazu führen, dass Haushalte mehr Vermögen und Pensionskassenguthaben ins Eigenheim stecken müssten. Das Klumpenrisiko "Eigenheim" würde sich dadurch für den Eigentümer weiter vergrössern.

Einige Hypothekarbanken positionieren sich als Fürsprecher junger Familien. In Tat und Wahrheit würde eine Lockerung der Tragbarkeitsregeln die Anfälligkeit des Immobilienmarkts bei einem Zinsanstieg deutlich erhöhen. Die jungen Familien, die ein Eigenheim auf Biegen und Brechen erworben haben, kämen dabei als Erste unter die Räder, so das Fazit der UBS-Experten.

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