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«Diese Vorlage ist ein Fortschritt»

Mittwoch, 09.08.2017

Bundesrat Alain Berset sieht in der Abstimmungsvorlage zur Vorsorgereform eine Chance. Gleichzeitig warnt er die unter 45-Jährigen davor, mit Nein zu stimmen. Sie könnten dann nicht sicher sein, selber noch eine AHV-Rente zu erhalten.

Der Abstimmungsausgang am 24. September 2017 scheint völlig offen. Stimmt das Schweizer Volk mit Ja, dürfte Bundesrat Alain Berset mit der «Altersvorsorge 2020» Geschichte schreiben. Stimmt es mit Nein, steht Berset vor den Trümmern seines sechsjährigen Wirkens im Bundesrat. Eine Alternative zur jetzigen Vorlage sieht Berset «auf die Schnelle» aber nicht, wie er in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» äussert. Die jetzige Reform sei das Ergebnis eines siebenjährigen, harten Ringens. Sie sei der Plan B nach den Reformversuchen von 2004 und 2010, die an der Urne gescheitert seien. Hätte es eine bessere und vor allem besser akzeptierte Alternative gegeben, hätte der Bundesrat diese in den vergangenen sieben Jahren gefunden, ist Berset überzeugt.

Wer Unterschriften sammelt, darf einen Text in den Abstimmungserläuterungen bringen

Tatsächlich ist die Vorlage heiss umstritten. In der Deutschschweiz sind vor allem FDP und Wirtschaftsverbände dagegen. Der Tages-Anzeiger kritisiert, dass im Abstimmungsbüchlein aber nur das linke Referendumskomitee aus der Westschweiz habe Stellung beziehen dürfen. Bundesrat Berset erklärt daraufhin, dass nur jene einen Text in den Abstimmungserläuterungen bringen dürften, die auch Unterschriften sammeln würden. Das sei bewährte, rundum bekannte Praxis. Eine Demokratie beruhe wesentlich auf transparenten, verlässlichen Verfahren. Es sei dem Bundesrat aber wichtig, dass alle zentralen Argumente auf den Tisch kämen. Daher seien auch die Argumente der bürgerlichen Opposition erwähnt.

Ohne Reform werden die Jungen doppelt bestraft

FDP und Wirtschaftsverbände argumentierten, die Reform sei ungerecht, denn Junge müssten für Ältere bluten. Dieses Argument kann Bundesrat Berset jedoch nicht nachvollziehen. Die grosse Ungerechtigkeit, der Skandal, finde vielmehr heute statt: «Wir haben hier und heute eine Milliardenumverteilung in der zweiten Säule von den Jungen zu den Alten. Die Jungen müssen die Renten der Pensionierten mitfinanzieren, weil die Pensionskassen nicht mehr genug verdienen. Dabei wäre ja die Idee, dass jeder für sich selber spart. Wenn wir jetzt nicht handeln, verschärft sich das Problem weiter. Und die Jungen sind doppelt bestraft».

45- bis 65-Jährige haben keine Zeit sich ein genügend grosses Alterskapital anzusparen

Wer zwischen 35 und 45 Jahre alt ist, zahlt mehr ein und bekommt tendenziell weniger, doppelt der Tages-Anzeiger nach. Die Jahrgänge der 45- bis 65-Jährigen dagegen würden vergoldet: Sie hätten ihre Rente garantiert und erhielten noch 70 Franken mehr AHV. Berset sieht darin jedoch keine Vergoldung. Schliesslich müssten die 45- bis 65-Jährigen unterstützt werden, weil ihnen die Zeit fehle, sich ein genügend grosses Alterskapital anzusparen. Ihre Renten würden sonst sinken, da der Umwandlungssatz schrittweise reduziert werde, der die Rentenhöhe bestimme. Das wiederum sei nötig, um die ungerechte Umverteilung in der zweiten Säule zu stoppen.

Alle zahlen in die AHV ein, es bekommen aber auch alle AHV

Neben der Besitzstandsgarantie gebe es noch 70 Franken als Dessert. Und der AHV-Zuschlag gehe auch an die Wohlhabenden, die es nicht nötig hätten, findet der Tages-Anzeiger. Laut Berset liegt das Wesen der AHV darin, dass alle einzahlen, aber auch alle bekommen. Wer kritisiere, dass auch Reiche AHV bekämen, greife das Fundament der AHV direkt an. Nehme man den Millionären die AHV weg, würden sie sie in Zukunft auch nicht mehr finanzieren.

Vorlage ist ein Fortschritt gerade auch für die unter 45-Jährigen

Die Frage, wie Berset die unter 45-Jährigen für die Vorlage gewinnen wolle, die damit viel stärker zur Kasse gebeten würden als bisher, kontert er damit, dass er diese Generation warnt: «Wenn ihr Nein stimmt, könnt ihr nicht sicher sein, dass ihr noch eine AHV-Rente bekommt». Denn die Kassen würden sich langsam, aber unerbittlich leeren. Der AHV-Fonds sei dann bereits Ende der 2020er-Jahre ausserstande, die Renten zu bezahlen. Das bestreite im Übrigen niemand, auch nicht, dass eine Reform immer teurer werde, je länger man damit zuwarte. Gleichzeitig gehe die Umverteilung in der zweiten Säule weiter.

Systeme könnten irgendwann nicht mehr zahlungsfähig sein

Weiter wirft Berset die Frage auf, was geschehen würde, wenn die Systeme irgendwann nicht mehr zahlungsfähig seien. Man dürfe daher nicht nur an sich selber denken, an die persönliche Situation. Sie sei nur die eine Seite der Medaille. Wenn der Wald brenne, könne man nicht nur den einen Baum retten, der einem gehöre. Anders gesagt: Ist das System der Altersvorsorge in der Krise, sei jeder davon betroffen. Zudem habe man während 20 Jahren keine grundlegende Reform mehr durchgeführt, zuvor etwa alle fünf Jahre. Man müsse wieder einen Reformrhythmus finden. Die Altersvorsorge 2020 regle nicht alle Fragen bis in alle Ewigkeit.

Niemand der heutigen Bezüger von Ergänzungsleistungen verliert etwas

Der Tages-Anzeiger kritisiert auch, dass Menschen, die Ergänzungsleistungen (EL) benötigten, wegen der 70 AHV-Franken eine Kürzung erführen, die AHV aber im Unterschied zu den EL versteuern müssten. Das bedeute, am Ende bleibe ihnen weniger Geld. Bundesrat Berset beschwichtigt: «Niemand der heutigen Bezüger von Ergänzungsleistungen verliert etwas. Von dieser Situation werden nur wenige künftige Bezüger betroffen sein, und dies auch nur in geringem Ausmass. Und auch bei den neuen Renten werden die allermeisten Personen mindestens gleich viel oder mehr erhalten als heute».

Die Altersvorsorge 2020 schafft die nötige Flexibilität

Sollte die Vorlage am 24. September abgelehnt werden, käme das Rentenalter 67 wohl wieder aufs Trapez, wie Berset bestätigt. Die Diskussion werde sich in den nächsten Jahren aber grundlegend ändern, ist er überzeugt. Bis 2025 würden der Schweiz eine halbe Million Fachkräfte fehlen. Das Bedürfnis, Menschen über das Rentenalter 65 hinaus zu beschäftigen, werde wachsen. Die Altersvorsorge 2020 schaffe dafür die nötige Flexibilität.

Eine Diskussion über ein höheres Referenzalter sei im Moment nicht nötig. Dies vor allem auch deshalb, weil es im Moment nicht realistisch sei, dass die Leute im Normalfall bis 67 arbeiten könnten. Für über 50-Jährige sei es heute nicht einfach, eine Arbeit zu finden und zu behalten. Und wenn sie die Stelle verlören, könnten sie kein Geld mehr auf ihr Pensionskassenkonto einzahlen. Das setze sie sehr unter Druck. Diese Situation ändere jetzt mit der Altersvorsorge 2020. Das sei eine wichtige Verbesserung, die aber oft wenig Beachtung fände.

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