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Die Versicherungsindustrie wird sich in den nächsten 10 Jahren grundlegend wandeln

Freitag, 07.07.2017

Die Nachfrage nach Lebensversicherungen sollte sich wieder erholen, sagen Experten. Angetrieben wird sie durch die Schwellenländer. In den Industrieländern setzt sich der rückläufige Trend derweil fort, auch wegen der Tiefzinspolitik.

Nach den mageren Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise können die Versicherer wieder mit etwas mehr Zuversicht nach vorne schauen, sind die Ökonomen des deutschen Versicherungskonzerns Allianz überzeugt. Sie gehen dabei allerdings von der Rückkehr der Weltwirtschaft zu normalen Wachstums- und Inflationsraten aus. Besonders ausgeprägt soll sich diese Entwicklung in den Industrieländern zeigen, nicht zuletzt in Westeuropa: Während die Versicherungsmärkte hier seit der internationalen Finanzkrise mehr oder weniger stagnierten, sollen die Prämien in Zukunft wieder mit durchschnittlich knapp 3% pro Jahr zulegen. In der Schweiz dürfte die Entwicklung mit einer jährlichen Wachstumsrate von 2% etwas verhaltener verlaufen. Dies geht aus der aktuellen Allianz-Studie «Globale Versicherungsmärkte – Aktueller Stand und Ausblick bis 2027» hervor.

Wachstum der Versicherungsmärkte hinkt der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung hinterher

Laut Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE, blicken viele Märkte in Westeuropa auf ein verlorenes Jahrzehnt zurück; sie sind heute kleiner als vor der Krise. In den Industrieländern dürfte das Wachstum der Versicherungsmärkte auch in den nächsten Jahren der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung hinterherhinken. Innerhalb der nächsten 10 Jahre jedoch soll nicht nur das Wachstum wieder kräftiger ausfallen; auch die Gewichte zwischen den Segmenten Sach- und Lebensversicherungen sollen sich wieder verschieben.

Sachversicherungsmärkte zeigten sich in der Krise robuster

In der Krise zeigten sich vor allem die Sachversicherungsmärkte robuster; sie haben seit 2008 weltweit um durchschnittlich 3.8% pro Jahr zugelegt. Im Bereich Leben hat das Wachstum im selben Zeitraum nur 2.8% betragen. Besonders ausgeprägt war diese Diskrepanz wiederum in Westeuropa: Während die Prämien im Lebensversicherungsgeschäft zurückgegangen sind (durchschnittlich um 0.5% pro Jahr), hat das Sachgeschäft noch ein Plus von 1.2% verzeichnen können.

Die Gründe dafür liegen laut Heise auf der Hand: Neben stagnierenden Einkommen und hoher Arbeitslosigkeit seien es vor allem die extrem niedrigen Zinsen gewesen, die die Nachfrage nach Lebensversicherungen gedämpft hätten. Klassische Sparprodukte seien in diesem Umfeld nicht mehr attraktiv gewesen. In der Schweiz habe das Segment Leben zwar noch leicht zulegen können (+0.7% pro Jahr); das Sachgeschäft sei in diesem Zeitraum aber mit 1.3% nahezu doppelt so schnell gewachsen.

Nachfrage nach Lebensversicherungen erholt sich

Die Nachfrage nach Lebensversicherungsprodukten sollte sich in Zukunft wieder erholen – denn die Notwendigkeit zur eigenverantwortlichen Vorsorge jenseits der staatlichen Rentensysteme besteht unverändert fort.

Die Anbieter haben zudem mit neuen Vorsorgekonzepten auf die Niedrigzinsphase reagiert; auch der Zinsausblick ist wieder etwas freundlicher geworden. Laut Allianz dürften die Prämieneinnahmen im Bereich Leben in den Jahren bis 2027 deshalb weltweit um 6.5% pro Jahr zulegen, gegenüber durchschnittlich 4.9% im Sachgeschäft.

Schwellenländer sind Treiber der Prämienentwicklung

Trotz der prognostizierten Erholung in den Industrieländern bleiben aber die Schwellenländer, allen voran China, die Treiber dieser Entwicklung. In den Schwellenländern wachsen die Lebensmärkte wegen dem grossen Nachholbedarf und gezielter staatlicher Förderung teilweise mit zweistelligen Wachstumsraten über die gesamte Dekade hinweg.

Die steigende Bedeutung des Versicherungsgeschäfts ist gemäss Allianz auch am Anteil der Versicherungsprämien gemessen mit dem Bruttoinlandprodukt (BIP) ablesbar, der sog. Versicherungsdurchdringung: Diese soll von 5.6% weltweit (2016) in den nächsten zehn Jahren auf 5.8% steigen. Allerdings geht dieser Zuwachs nahezu ausschliesslich auf die Schwellenländer zurück.

In den Industrieländern dürfte sich der rückläufige Trend fortsetzen

In den Industrieländern – auch in der Schweiz – dürfte sich der rückläufige Trend der vergangenen Jahre fortsetzen, wenn auch in einem deutlich langsameren Tempo, prognostizieren die Ökonomen der Allianz. Für diese weiterhin verhaltene Entwicklung würden aber nicht mehr wirtschaftliche, sondern vor allem strukturelle Gründe sprechen: Zum einen die demographische Entwicklung, die in den nächsten Jahren durch den allmählichen Renteneintritt der Generation der Babyboomer gekennzeichnet ist; zum anderen, durch zunehmende Schwierigkeiten, die Prämieneinnahmen im Brot-und-Butter-Geschäft der Sachversicherung, der Autoversicherung, weiter zu steigern.

Marktveränderungen könnten geschäftsdämpfend wirken

Verschiedene Veränderungen könnten hier in Zukunft dämpfend wirken: Neben der zunehmenden Wettbewerbsintensität durch digitale Vertriebswege könnten neue Technologien (Stichwort autonomes Fahren) künftig Unfälle und Schäden reduzieren, verhaltensabhängige Tarife (Stichwort Telematik) die durchschnittlichen Preise senken und generelle Verhaltensänderungen die Zahl der Nutzer mit eigenem Auto einschränken (Stichworte Carsharing und Uber).

Ausgaben für Versicherungsschutz sind seit der Krise gesunken

Daher reiche dieser eher bescheidene Bedeutungszuwachs auch nicht aus, die Verluste der Krisenjahre wieder wettzumachen, so die Ökonomen weiter: Im Durchschnitt der Vorkrisenjahre sei die globale Versicherungsdurchdringung noch bei 6.4% gelegen. Umgerechnet in Euro bedeute dies: Hätten die Menschen weltweit den gleichen Anteil ihres Einkommens für Versicherungsschutz ausgegeben wie vor der Krise, wären 2016 die globalen Prämieneinnahmen um beinahe 350 Milliarden Euro höher ausgefallen.

Diese "Versicherungslücke" geht laut Allianz zu über 90% auf die beiden Regionen Westeuropa und Nordamerika zurück, in denen zu über 70% der Bereich Leben für die fehlenden Prämieneinnahmen verantwortlich ist. «Diese Zahlen unterstreichen noch einmal den Kollateralschaden der Nullzinspolitik der grossen Notenbanken», kommentiert Michael Heise diese Entwicklung. So hätten die Niedrigzinsen der Idee der eigenverantwortlichen Vorsorge schweren Schaden zugefügt; die Folgen werde die nächste Rentnergeneration spüren.

Neue Technologien könnten Nachfrage steigern

Die Rückkehr zu solidem Wachstum der Versicherungsmärkte hat also durchaus einige Schönheitsfehler, zumindest in den Industrieländern ist ein Ausgleich der Verluste der Krisenjahre nicht der wahrscheinlichste Fall. 

Zum Schwarzmalen besteht laut Allianz dennoch kein Anlass. Denn die neuen Technologien bieten ihrer Ansicht nach grosse Chancen. Digitalisierung, Big Data und Künstliche Intelligenz stünden nicht allein dafür, Kosten zu senken, Prozesse effizienter zu machen und den Wettbewerbsdruck zu erhöhen. Mit ihnen könne vor allem auch Versicherungsschutz wieder für mehr Menschen zugänglich und erlebbar gemacht werden, Versicherungsprodukte könnten attraktiver werden.

Versicherungsindustrie wird sich in den nächsten 10 Jahren grundlegend wandeln

«Die Versicherungsindustrie wird sich in den nächsten zehn Jahren grundlegend wandeln», sagte Arne Holzhausen, Ökonom der Allianz SE und Ko-Autor der Studie. Doch die Herausforderungen seien immens – ebenso wie das Potenzial der neuen Technologien. Gelänge es, die Kunden wieder für Versicherungen zu begeistern, und würden die Menschen weltweit wieder einen so hohen Anteil ihres Einkommens für Versicherungsschutz ausgeben wie vor der Krise, hätte dies alleine für 2027 zusätzliche Prämieneinnahmen in Höhe von 750 Milliarden Euro gegenüber dem Basisszenario zur Folge, so sein Fazit.

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