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Die Pensionierung der Babyboomer-Generation führt zu einem starken demografischen Wandel

Montag, 10.07.2017

Mit der Pensionierung der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge zwischen 1945 und 1964 vollzieht sich ein demografischer Wandel. Experten fürchten u.a. die Überlastung des Rentensystems, sinkende Steuereinnahmen und weniger Innovationsdynamik.

Seit Jahren werde vor den Folgen des demografischen Wandels gewarnt: Überalterung der Bevölkerung, Überlastung des Rentensystems, Fachkräftemangel, sinkende Steuereinnahmen, zurückgehende Innovationsdynamik, schwindende Wachstumskräfte. Aber von alle dem sei im Alltag bisher wenig zu spüren gewesen und entsprechend abstrakt sei die Sorge über die Vergreisung der Gesellschaft geblieben, schreiben Peter Grünenfelder und Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse in der Zeitschrift «Schweizer Monat».

Folgen des Alterungsprozesses werden zunehmend spürbar

In der Tat befänden wir uns bislang in der «Latenzphase» des demografischen Wandels, so die Autoren. Diese gehe nun zu Ende. Fortan würden die Folgen des Alterungsprozesses zunehmend spürbar. Wir stünden an der Schwelle einer grossen Pensionierungswelle – jener der Babyboomer.

Die grosse Pensionierungswelle der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge zwischen 1945 und 1964 habe begonnen. Mit der Verabschiedung der Babyboomer aus dem aktiven Arbeitsleben trete der gesellschaftliche Alterungsprozess in seine entscheidende Phase.

Demografische Entwicklung von Gesellschaften ist ein schleichender Prozess

Die demografische Entwicklung von Gesellschaften sei ein schleichender Prozess und manche Ereignisse, die ein bis zwei Generationen zurückliegen würden, hätten oft weitreichende Auswirkungen im Hier und Jetzt.

Zu diesen gehöre der «Babyboom» infolge des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Ab den 1940er Jahren habe die Schweiz einen rasanten Anstieg der Geburtenraten erlebt, der in zwei Wellen verlaufen sei und 1964 seinen Zenit erreicht habe.

Dann sei die «Antibabypille» erfunden worden, und mit ihr sei der «Pillenknick» gekommen: Die Geburtenrate sei kontinuierlich gefallen, bis sie sich Mitte der 1970er Jahre auf niedrigem Niveau stabilisiert habe.

Dieses demografische Muster habe die Schweiz mit den meisten Ländern der westlichen Welt geteilt, wenn auch mit gewissen Unterschieden. So habe in den USA der Kindersegen direkt nach Kriegsende eingesetzt, während stark zerstörte Länder wie Deutschland zunächst einmal mit dem Wiederaufbau beschäftigt gewesen seien. In Frankreich hingegen sei der langfristige Geburtenrückgang nach dem Pillenknick weniger dramatisch ausgefallen.

Mit den Babyboomern altert die Gesellschaft

Die Babyboomer haben die Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen während Jahrzehnten geprägt, monieren die Autoren. Zum einen, aufgrund ihrer grossen Zahl, zum anderen, weil sie eine vergleichsweise homogene Generation seien. In den verschiedenen Phasen ihres Lebenszyklus habe die Generation der Babyboomer die Gesellschaft in unterschiedlicher Weise geprägt. Jetzt, da sie in die Jahre kämen, altere die Gesellschaft mit ihnen.

Zahl der Neurentner steigt Jahr für Jahr

Dabei unterscheiden die Autoren zwischen zwei verschiedenen Abgrenzungen der Babyboomer-Jahrgänge. Gemäss gängiger Definitionen zählten zu den Babyboomern die Geburtsjahrgänge 1945 (Ende des Zweiten Weltkriegs) bis 1964 (als der Höchststand der Geburten erreicht wurde und der Pillenknick einsetzte). Von nun an gingen jedes Jahr immer geburtenstärkere Jahrgänge in Rente; so steige die Zahl der Neurentner bis ins Jahr 2030 Jahr für Jahr weiter. Bereits 2016 seien erstmals mehr inländische Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden als nachgerückt seien, betonen die Autoren. Mit dem demografischen Wandel werde nun also ernst.

Eine sinnvollere (wenn auch unübliche) Abgrenzung der Babyboomer-Generation wären ihrer Ansicht nach die zehn geburtenstarken Jahrgänge vor und nach dem Pillenknick (1961–1971). Besonders heikel werde es aus gesellschaftlicher Sicht, wenn diese Jahrgänge das Rentenalter erreichten bzw. ein Alter, in dem viele pflegebedürftig würden (ca. 80 Jahre).

Folgen sind in allen Bereichen spürbar

Mit dem Eintritt der Babyboomer-Jahrgänge in das Rentenalter beginnt laut den Autoren nun gewissermassen die heisse Phase des demographischen Wandels. Diese habe weitreichende Konsequenzen – insbesondere auch auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Schweiz.

Heer der Rentenempfänger wächst

Durch die Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge wachse das Heer der Rentenempfänger, während die Zahl der Beitragszahler abnehme. Auch in den anderen Sozialwerken sorge das Ungleichgewicht zwischen den erwarteten Leistungen und ihrer Finanzierung für erhöhten Druck, warnen die Autoren.

Ohne Zuwanderung sinkt die Zahl der Arbeitnehmer und Fachkräfte

Da die in den Arbeitsmarkt nachrückenden Schulabgänger aus geburtenschwachen Jahrgängen stammten, sinke ohne Zuwanderung die Zahl der Arbeitnehmer und Fachkräfte. Steigende Kosten und längere Suchdauern bei den Unternehmen sein die Folgen.

Wirtschaftswachstum wird gedämpft – politische Verteilkämpfe nehmen zu

Der sinkende Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung dämpfe das Wirtschaftswachstum pro Kopf, zumal mit zunehmendem Durchschnittsalter auch die Innovationskraft sinke. Das Wohlstandsniveau stagniere. In einem Umfeld mit geringem Wachstum nähmen die politischen Verteilkämpfe tendenziell zu.

Steuersubstrat sinkt, Ausgaben steigen

Weniger Arbeitskräfte und Wirtschaftswachstum bedeuten tendenziell weniger Steuersubstrat. Gleichzeitig steigen die Ausgaben des Staates infolge des demographischen Wandels, insbesondere in den Bereichen Sozialleistungen, Gesundheit und Pflege.

Staatsquote dürfte wachsen

Mit der Pensionierung der Babyboomer würden sich die politischen Mehrheiten von den Jungen zu den Alten verschieben, von den Beitrags- und Steuerzahlern hin zu den Nettoempfängern staatlicher Leistungen. Eine wachsende Staatsquote dürfte die Folge sein.

Reformen sind notwendig

Insgesamt würden die Handlungsspielräume der Politik ab- und die Verteilkonflikte zunehmen. Um die negativen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des bevorstehenden Alterungsschubs abzumildern, sei es Zeit für beherzte Reformen:

Sozialwerke: Erhöhung des Renteneintrittsalters, Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule, Sanierung der AHV, Massnahmen gegen das kontinuierliche Wachstum der Sozialausgaben.

Arbeitsmarkt: Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, Erhöhung der Erwerbsquote bei Frauen durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Einführung der Individualbesteuerung, flexiblere Arbeitsmodelle für ältere Arbeitnehmer, Massnahmen zur Weiterbildung.

Wachstum: Rahmenbedingungen, die die Produktivität erhöhen – wie Abbau von Regulierungen sowie eine Standort-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die das Innovationspotenzial stärken.

Staatsfinanzen: Ausgabendisziplin (insbesondere bei den stetig steigenden konsumtiven Ausgaben), Abbau von Subventionen, eine konsequente Einhaltung der Schuldenbremse.

Migration verzögert die gesellschaftliche Alterung

Das Migrationsland Schweiz erlebe seit vielen Jahren eine starke Einwanderung und die Zuwanderer seien durchschnittlich jünger als die angestammte Bevölkerung. Dadurch werde die Alterung der Gesamtbevölkerung gedämpft bzw. zeitlich verzögert. Die Migration wirke also wie eine Frischzellenzufuhr für die Gesellschaft und für die Wirtschaft – zumal die Zuwanderung dank der Personenfreizügigkeit vor allem eine Zuwanderung von Arbeitskräften sei. Die Folgen der Alterung der Babyboomer seien in der Schweiz aber nicht so stark ausgeprägt wie in Ländern mit geringer Zuwanderung.

Den gleichen Effekt habe die Binnenmigration innerhalb der Schweiz auf der regionalen Ebene: Kantone und Gemeinden mit Abwanderung alterten deutlich schneller. So seien demografische Indikatoren in einigen entlegenen Talschaften vergleichbar mit jenen in Ostdeutschland oder in der französischen Provinz. Zu den Profiteuren der Wanderungsbewegungen gehörten dagegen die Städte und Agglomerationen des Mittellandes. Bei ihnen wirke die Zuwanderung wie ein Jungbrunnen. Die Diskrepanz zwischen Regionen, die durch Zuwanderung «jünger» würden und jenen, die durch Abwanderung «altern» würden zeige sich an den grossen Unterschieden beim Durchschnittsalter der Bevölkerung in den Kantonen: Dieses reiche von 39 Jahren in Fribourg bis zu 44 Jahren im Tessin. So durchlebten einige Landesteile bereits heute demografische Entwicklungen, die auch auf den Rest der Schweiz in den nächsten Jahren zukommen würden.

Wer folgt den abtretenden Babyboomern?

Derzeit befänden sich die geburtenstärksten Jahrgänge der Babyboomer vermutlich auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft, viele von ihnen besetzten Schlüsselpositionen in privaten Unternehmen und in der staatlichen Verwaltung, in der Kultur und in der Wissenschaft. Sie prägten viele Institutionen und gesellschaftliche Diskurse – aber ihre Tage seien gezählt. Interessant ist gemäss den Autoren deshalb, welche Generationen den Babyboomern folgen und wie sie mit ihren spezifischen Eigenschaften die Schweiz von morgen prägen würden. 

Zu den «Erben der Babyboomergeneration» zählen die Autoren etwa die Generation X, also die Geburtsjahrgänge bis ca. 1980. Zu den ihnen gemeinhin zugeschriebenen Merkmalen zählten ein hohes Bildungsniveau, ein ausgeprägtes Konsumverhalten und Individualismus.

Sie führen aber auch die Generation Y an, also die Jahrgänge 1980–1999. Ihre Vertreter würden als gut ausgebildet und technologieaffin gelten, sie stellten gerne althergebrachte Konventionen in Frage und legten Wert auf Selbstverwirklichung.

Ihnen folgten die Millennials, die stark von der Digitalisierung und insbesondere auch von den sozialen Medien geprägt würden. 

Generationengefüge verschiebt sich grundlegend

Mit dem allmählichen Abtreten der Babyboomer aus dem aktiven Arbeitsleben komme es zu einer grundlegenden Verschiebung im Generationengefüge. Die Erben der Babyboomer seien geprägt durch andere Erfahrungen, Werte, Eigenschaften und Verhaltensweisen.

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