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«Wir sehen keine Rezession»

Samstag, 13.06.2015

Dr. Alfred Roelli, Chef-Analyst der Banque Pictet

Die Banque Pictet & Cie gibt sich für die Wirtschaftstendenzen in der zweiten Jahreshälfte 2015 und ihren Anlage-Ausblick unverhohlen optimistisch. Dennoch räumt sie Rückschläge an den Märkten, insbesondere den Festverzinslichen, ein.

«An Aktienanlagen führt kein Weg vorbei; es ist noch kein Zeitpunkt für den Ausstieg», erklärt Alfred Roelli, Senior-Finanzanalyst der Banque Pictet, anlässlich der Präsentation des Halbjahresausblicks für die zweite Hälfte 2015. Die Aktienmärkte seien zwar nicht mehr günstig bewertet. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse könnten aber durchaus noch weiter expandieren und auf Jahre hinaus hoch bleiben. Allerdings steige die Volatilität an den Aktienmärkten. Rückschläge an den festverzinslichen Märkten könnten zudem auch die Aktienmärkte vorübergehend «aus dem Konzept» bringen. Eine wirkliche Blase sieht Roelli indes noch nicht.

Es gibt noch keine Blase an den Aktienmärkten

Dafür gibt es laut Roelli verschiedene Gründe. So einmal die Tatsache, dass die zyklischen (Aktien-) Werte noch nicht besser laufen würden als die defensiven. Ausserdem würden die Aktien von kleinen und mittleren Firmen erst seit Jahresanfang 2015 besser gegenüber den grossen Standardwerten abschneiden. Solche Phasen dauerten erfahrungsgemäss Jahre, weiss Roelli. Hinzu komme, dass das Renditeplus (inklusive Dividenden) gegenüber «fälschlicherweise als sicher bezeichneten» Festverzinslichen auf hohem Niveau liege.

Festverzinslichen-Märkte könnten massive Rückschläge erleiden

In den Festverzinslichen-Märkte sieht Roelli dagegen «eine Gefahr von massiven Rückschlägen aufgrund von Gegenläufigkeit von Regulation und Geldpolitik». Dennoch hält Roelli das Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zur quantitativen Lockerung, in dessen Rahmen im grossen Stil Anleihen gekauft werden, um das Geldangebot zu steigern und der Deflation entgegenzuwirken, als psychologisch richtig. Denn die Inflationserwartungen spiegelten immer noch säkulare Stagnationsthesen bzw. Deflationsängste wider. So stütze das EZB-Programm die wirtschaftliche Erholung im Euroraum. Europa, mit seinen vielen technologisch hochentwickelten Unternehmen, könne vor diesem Hintergrund profitieren und wieder wachsen.

Erholung der US-Wirtschaft verläuft schleppend

Auch die US-Wirtschaft werde sich weiter erholen, was einen günstigen Einfluss auf die Weltwirtschaft habe, gibt sich Roellli zuversichtlich. Pictet rechnet denn auch mit einem mittelfristigen Wirtschaftswachstum von 2.5% bis 3.0%. Eine vernünftige Fiskalpolitik und die angemessene geldpolitische Lockerung der US-Zentralbank Fed hätten die Arbeitslosigkeit deutlich gesenkt; vorerst ohne Inflationsdruck. «Es ist allerdings nicht eine Erholung in alter Stärke, sondern eine mit Rückschlägen durchsetzte Erholung, die keine Euphorie auslöst», räumt Roelli ein. Auch führe die aggressive quantitative Geldpolitik zu Inflationierung an den Finanzmärkten, jedoch (noch) nicht an den Geldmärkten.

Starker US-Dollar stützt insbesondere Exporte aus der Eurozone

Den US-Dollar hält Roelli für «erst leicht überbewertet». Die weitere Kursentwicklung hänge zudem vom Wirtschaftsgang im Rest der Welt ab. Insgesamt gibt Pictet dem Dollar noch 5% bis 10% Aufwärtspotenzial, dann sei der Wendepunkt erreicht und ein Euro-Dollar-Kurs von 1.20 bis 1.30 sei nicht ausgeschlossen. Während der starke US-Dollar für die US-Exporteure und ihre im Ausland erzielten Gewinne eine Belastung darstelle, sei er für die meisten Länder – insbesondere für das Euroland – eine Wohltat.

Viele Länder könnten sich dank dessen auf höhere Exporte einstellen und ihre Unternehmen verdienten im Ausland mehr Geld. Roelli hält den Euro für unterbewertet; bei günstiger Wirtschaftsentwicklung könne sich gegen das Jahresende hin aber eine «Normalisierung» durchsetzen. Mittelfristig rechnet Roelli mit einem Wirtschaftswachstum von 1.5% bis 2.0% in der Eurozone. Das liege jedoch unterhalb des Potenzialwachstums. Mit einem „Grexit“ rechnet Roelli im Übrigen nicht; stattdessen erwartet er einen Kompromiss, sodass das Thema für ihn keine neue Relevanz mehr hat.

Schweiz wird schwierige Situation meistern

Den Schweizer Franken hält Roelli für massiv überbewertet. Seiner Ansicht nach hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) jedoch richtig gehandelt, als sie den Wechselkurs für den Schweizer Franken freigegeben hat. Dies hatte im Tagesverlauf des 15. Januar 2015 vorübergehend zur historisch grössten Wechselkursveränderung einer Hauptwährung geführt. Auch emittierte die Schweizerische Eidgenossenschaft als erstes Land in der Geschichte eine Anleihe mit zehnjähriger Laufzeit und einer Negativrendite. Roelli gibt sich jedoch zuversichtlich: «Die Schweiz wird die wirtschaftlich schwierige Situation meistern». Er erwartet für die wirtschaftliche Entwicklung ein so genanntes V-Muster – mit 0.7% Wirtschaftswachstum 2015 und 1.0% im kommenden Jahr.

Schwellenländer entwickeln sich wieder positiver

Positiv wertet Roelli die Nachrichten aus den Volkswirtschaften der Schwellenländer. In China etwa finde eine Verlangsamung statt, welche die Wirtschaft nachhaltiger machen werde, da sie mehr auf Inlandkonsum basieren solle als auf überzogenen Exporten. Auch Indien profitiere unter seinem neuen Premierminister Modi von einer stabileren Wachstumsentwicklung. Brasilien und auch Russland müssten sich allerdings an einen drastischen Aktivitätsrückgang anpassen. Im Endeffekt habe dies jedoch eine adäquatere Wirtschaftspolitik zur Folge.

Tiefer Ölpreis fördert die Weltwirtschaft

Als gute Nachricht für die Weltwirtschaft sieht Roelli auch den tiefen Ölpreis. In einigen der wichtigsten Öl exportierenden Ländern führe dies zwar zu Einschnitten. Mit Ausnahme schlecht regierter Länder wie Russland und Venezuela verfügten die meisten ölproduzierenden Länder aber über Reserven, um solche Rückschläge zu verkraften. Die ölimportierenden Länder, zu denen viele ärmere Schwellenländer und die meisten Länder Europas gehörten, seien indes Nutzniesser moderater Ölpreise.

Pictet erwartet keine globale Rezession

Eine globale Rezession schliesst Roelli auf Jahressicht – angesichts der gegenwärtigen Zinskurve, des Standes im Wirtschaftszyklus sowie der Geldpolitik – aus. «Wahrscheinlicher scheint uns ein längerer Zyklus mit verhaltenem Wachstum, aber nicht mit der befürchteten säkularen Stagnation».

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