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«Wenn jeder mehr für sich selbst sorgt, ist für die meisten besser gesorgt»

Montag, 24.07.2017

Wirtschaftsnahe Ökonomen kritisieren, dass die AHV mit der Vorlage zur Altersvorsorge 2020 an die Wand gefahren werde. Statt einem AHV-Ausbau propagieren sie, dass der Staat die 3. Säule stärker fördert.

Der Finanztheorie-Professor Erwin Heri (63), der u.a. für Grossbanken und Versicherungen tätig war und sich derzeit dem Aufbau von fintool.ch widmet, erklärt in einem Interview mit «Blick», weshalb er gegen die Rentenreform ist. Seine Kritik beginnt damit, dass mit den zusätzlichen 70 Franken AHV die 1. und 2. Säule vermischt würden. Das sei ein ganz schlechtes Signal, moniert er: «Die AHV ist ein wirkliches Sozialwerk, in der Pensionskasse spart im Prinzip jeder für sich. Diese so unterschiedlich funktionierenden Vorsorgewerke sollte man auf keinen Fall verquicken».

Beide Säulen sind getrennt zu sanieren

Gemäss Heri sind die beiden Säulen getrennt zu sanieren. Die AHV über eine Erhöhung des Rentenalters, die berufliche Vorsorge über eine Senkung des Umwandlungssatzes auf ein marktnahes Niveau.

Umwandlungssatz sollte in die Nähe von 5% rücken

Heri hält einen Umwandlungssatz nahe 5% für realistisch, so wie es heute an vielen Orten im überobligatorischen Teil üblich sei. Zudem müsse man «die vermaledeiten Rechnungslegungsvorschriften» anpassen. Heute müsse jede Pensionskasse schon fast monatlich eine Rechnung vorlegen. So würden langfristige Verpflichtungen in einjährige Anlagehorizonte gepresst, was eine adäquate Anlagestrategie verunmögliche.

Rentenalter muss erhöht werden

Weiter propagiert Heri, das Rentenalter zu erhöhen. In vielen Industrieländern betrage es 67 Jahre. Die Politik sollte der Bevölkerung auch hierzulande endlich reinen Wein einschenken. Doch Politiker würden so unpopuläre Massnahmen scheuen, weil sie dann um ihre Wiederwahl fürchten müssten.

Es braucht ein Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft

Auf die Anmerkung, dass solche Vorschläge an der Urne in der Vergangenheit gescheitert seien, kontert Heri, dass er nicht sicher sei, ob alle immer wüssten, worüber sie eigentlich abstimmten. Auch die jetzige Reform sei sehr komplex. Sie müsse deshalb zurück an den Absender gehen.

Auch die Frage nach dem Zeitfaktor lässt Heri nicht gelten: «Jeder weiss, dass wir nicht noch einmal zehn Jahre Zeit haben. Und die Bevölkerung ist auch bereit, ein höheres Rentenalter zu akzeptieren».

Dafür brauche es allerdings ein Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft, so dass 50-Jährige nicht in der Arbeitslosigkeit landeten.

Je länger man wartet, desto teurer wird es am Schluss

Statt weiter auf Zeit zu spielen, will Heri schon jetzt über ein höheres Rentenalter reden. So würde die AHV an die Wand gefahren: «Je länger wir eine echte Sanierung vor uns herschieben, desto teurer wird es am Schluss.» Bezahlen müsse diesen ungedeckten Scheck eine Generation, die im politischen Prozess nicht existiere.

3. Säule sollte stärker gefördert werden

Heri wendet sich gegen einen politisch machbaren Kompromiss: «Wohin wird uns diese unsägliche Kompromissokratie noch führen? Wir brauchen keine Kompromisse». Die wirtschaftliche Realität diktiere, was zu tun sei.

Das Beste, was die Leute tun könnten, sei, wieder mehr für sich selbst vorzusorgen, rät Heri. Über die 3. Säule, die stärker gefördert werden sollte. Man solle die Leute motivieren, verstärkt langfristig in Wertpapiere zu investieren. Denn wenn jeder mehr für sich selbst sorge, sei für die meisten besser gesorgt.

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