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Was ist zu tun, damit der Generationenvertrag in der Altersvorsorge wieder funktioniert?

Sonntag, 27.09.2015

Was strapaziert den Generationenvertrag zwischen Jung und Alt? Welche Massnahmen sind nötig, um die Fairness zwischen den Generationen zu gewährleisten? Das Institut für Versicherungswirtschaft der HSG gibt Antworten.

Stellen Sie sich vor: Gestern war Ihr letzter Arbeitstag – Sie sind 65 Jahre jung und gut in Schuss. Endlich können Sie all das tun, wofür Ihnen stets die Zeit gefehlt hat. Wunderbar, nicht wahr? Das Problem ist nur, dass Sie weder Kinder noch Verwandte haben, die sich um Sie kümmern und keine Ersparnisse, von denen Sie zehren können. Ein Sozialversicherungssystem gibt es auch nicht! Wie wollen Sie dann für Miete, Essen, Auto, Pflege oder gar einen Urlaub aufkommen? Glücklicherweise verfügen viele Länder über eine soziale Sicherung, etwa die obligatorische Altersvorsorge, um ein solches Szenario zu verhindern. Naja, viele Länder verfügen NOCH über solche Dienste. Denn, vielleicht haben Sie es gehört, das System steht vor dem Kollaps, sagt Prof. Dr. Martin Eling vom Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen.

Solidarität fand innerhalb der Familie statt

Bis vor gar nicht langer Zeit war das System recht simpel; in vielen Länder funktioniert es auch heute noch genauso: Kinder kümmern sich um ihre Eltern und laden sie ein, ihren Lebensabend unter dem gleichen Dach zu verbringen. Solidarität findet innerhalb der Familie statt. Die Idee dahinter ist die eines Generationenvertrages, wie Eling beschreibt, nicht im Sinne eines offiziellen, unterschriebenen Dokuments, sondern im Sinne eines impliziten Versprechens. Zum Glück funktioniere das heute meist etwas anders. Denn in vielen Ländern sei der Generationenvertrag von der Familien- zur Staatsangelegenheit geworden, sagt Eling.

Die Altersvorsorge wurde institutionalisiert

Als Hauptgrund für eine solche Institutionalisierung der Altersvorsorge nennt Eling die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert: Menschen seien vom Land in die Städte gewandert, Familienbanden seien zerbrochen und auch Kinder seien immer weniger geboren worden.

Der Generationenvertrag wurde geschaffen

Einige Staatsoberhäupter, etwa der erste deutsche Reichskanzler Bismarck, hätten die drohenden sozialen Probleme erkannt und die ersten Sozialversicherungen ins Leben gerufen. Das einleuchtende Konzept: Die jüngere, arbeitende Bevölkerung finanziere das Leben der älteren Menschen – immer in der Hoffnung, dass zukünftige Generationen das gleiche für sie tun würden.

Somit gehe es bei der intergenrationellen Fairness– im Gegensatz zur intragenerationellen Fairness zwischen sozialen Klassen, Geschlechtern und Ländern  – um die Gerechtigkeit zwischen den Generationen.

Der demographische Wandel hat das Gleichgewicht gestört

Doch was passiert, wenn zukünftige Generationen plötzlich keine Lust mehr haben, oder schlicht nicht mehr fähig sind, für die pensionierte Bevölkerung aufzukommen? Die Idee des Generationenvertrags funktioniere dann besonders gut, wenn neben einer kleinen Gruppe von Pensionären eine grosse Arbeiterschaft existiere, wie Eling erläutert. Zu Bismarcks Zeiten etwa seien es zehn Arbeitnehmende pro pensionierter Person gewesen.

Die Zeiten hätten sich jedoch geändert. Wegen der steigenden Lebenserwartung und sinkenden Geburtenraten werde die Bevölkerung immer älter. Für die Einzelperson sei das eine gute Neuigkeit, denn wir lebten immer länger und dies bei guter Gesundheit!

2040 kommen 2 Arbeitnehmende für einen Pensionierten auf

Für den Generationenvertrag seien die Konsequenzen der Überalterung jedoch wenig erfreulich, so Eling weiter. Aktuelle Statistiken zeigten, dass in Deutschland im Jahr 2000 etwa 4 Arbeitnehmende eine pensionierte Person finanziert hätten. Die Prognose für 2040 sei weit gravierender: 2 Arbeitnehmende würden dann für den Lebensabend von einer pensionierten Person aufkommen müssen. Ist es fair, fragt Eling, all das künftigen Generationen aufzuhalsen?

Auch die Gesundheitskosten explodieren

Kollabierende Altersvorsorgen seien aber nur eine der Herausforderungen, die auf unsere Kinder warteten, mahnt Eling. Hinzu komme, dass die Überalterung der Gesellschaft deren Gesundheitskosten in die Höhe treibe. Denn Medikamente, betreutes Wohnen, und so weiter seien für sehr alte Menschen deutlich teurer als für alte Menschen.

Sechs Massnahmen sollen die Zukunft des Generationenvertrags gewährleisten

Die aktuelle Forschung schlage sechs konkrete Massnahmen vor, um die Zukunft des Generationenvertrags zu gewährleisten, wie Eling aufzeigt.

Erstens: Länger arbeiten für alle

Aufgrund der erhöhten Lebenserwartung sei auch die Erhöhung des Rentenalters unausweichlich. Das Schweizer Rentenalter sei 1948 festgelegt worden. Damals sei die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern im Pensionsalter 77 Jahre gewesen. Heute liege sie bei 85 Jahren für Männer und 88 Jahren für Frauen – dies, obwohl Frauen bereits mit 64 pensioniert würden. Dies sei eine Entwicklung, die das Sozialversicherungssystem in seinen Grundfesten erschüttere. Eine mögliche Lösung sieht Eling in einem automatischen Anpassungsmechanismus. In Dänemark etwa werde das Rentenalter bei veränderter Lebenserwartung automatisch angepasst.

Zweitens: Die automatische Schuldenbremse

Es gelte, eine automatische Schuldenbremse einzuführen, welche sämtliche Beiträge und Zahlungen betreffe, wie Eling propagiert. Das würde bedeuten, dass niemals mehr ausgegeben werde als tatsächlich vorhanden sei. Nur wenige Länder hätten bisher Mechanismen eingeführt, die öffentliche Rentenzahlungen im Fall von Defiziten begrenzten.

Drittens: Neue Versicherungsarten

Es solle für alle Bürger obligatorisch werden, in eine neue Versicherung für Krankenpflege im hohen Alter einzuzahlen, so Eling. In Deutschland habe man bereits damit begonnen, entsprechende Konzepte umzusetzen.

Viertens: Anreize für Freiwilligenarbeit schaffen

Der Staat könne sich nicht um alles kümmern. Nein: Solidarität beginne beim Bürger, wie Eling unterstreicht. Viele junge und alte Leute betätigten sich bereits heute freiwillig in Sportvereinen, kümmerten sich um bedürftige Verwandte und Bekannte oder nähmen an schulischen oder politischen Veranstaltungen teil. Dieses Engagement gelte es zu vertiefen: Im 21. Jahrhundert müsse der institutionalisierte Generationenvertrag des 20. Jahrhunderts mit dem impliziten Generationenvertrag des 19. Jahrhunderts kombiniert werden!

Fünftens: Ausländer, lasst uns nicht allein!

Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften im eigenen Land nicht gestillt werden könne, brauche es Hilfe von aussen. Staaten müssten neue, qualifizierte Arbeitnehmende aus anderen Ländern im heimischen Arbeitsmarkt willkommen heissen – nicht nur um die arbeitende Bevölkerung zu stärken und die Wirtschaft anzukurbeln, sondern auch um künftige Generationen beim Einhalten des Generationenvertrags zu unterstützen, wie Eling mit Nachdruck erklärt. Länder wir Kanada, Neuseeland, die Niederlande oder Dänemark machten es vor!

Mehr Kinder braucht das Land

Das grösste Problem des Generationenvertrags sei der ausbleibende Nachwuchs, so Eling. Noch effektiver als eine kluge Einwanderungspolitik seien Investitionen in Anreizprogramme zur Familiengründungen, subventionierte Kinderkrippen, Arbeitsplatzzusicherungen für beurlaubte Mütter und in die Bildung.

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