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Sollen Herr und Frau Schweizer künftig bis 68 Jahre arbeiten?

Donnerstag, 24.10.2013

Der sgv lehnt das Reformpaket zur Altersvorsorge von Bundesrat Berset ab. Er plädiert für ein Alternativmodell, das statt auf Mehreinnahmen auf stufenweise Erhöhungen beim Rentenalter setzt. Er stösst damit auf Zustimmung.

Bundesrat Alain Berset möchte die Altersvorsorge praktisch ausschliesslich über Mehr­einnahmen sanieren, reklamiert der Schweizerische Gewerbeverband sgv. Dabei setze der Bundesrat einseitig auf zusätzliche Beiträge (mit dem Frauenrentenalter 65 und Anpassungen bei den Witwenrenten sollen rund 1,5 Milliarden Franken eingespart werden) sowie auf Einnahmen über die Mehrwertsteuer. Eingespart werde damit netto nicht einmal 1 Milliarde Franken, so sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler; rund die Hälfte der Einsparungen aus der Erhöhung des Frauenrentenalters sollten gleich wieder für soziale Abfederungen bei vorzeitigen Pensionierungen ausgegeben werden. Das empfindet der sgv als stossend. So auch die Abfederung der finanziellen Auswirkungen der Senkung des Mindestumwandlungssatzes, wofür 2,8 Milliarden Franken ausgegeben werden sollten. Dieser Preis ist dem sgv viel zu hoch. Er fordert stattdessen eine Erhöhung des Rentenalters.

sgv lehnt Vorlage strikte ab

Den Einsparungen stehen laut sgv Mehreinnahmen von rund 9,5 Milliarden Franken gegenüber. Rund 6 Milliarden Franken an Zusatzeinnahmen sollen über die Erhöhung der Mehrsteuersätze um bis zu 2% generiert werden. Dass diese Mehreinnahmen "bloss" etappiert erschlossen würden, mache sie für den sgv keinesfalls besser, erklärte der Schweizerische Gewerbeverband, der als grösste Dachorganisation der Schweizer Wirtschaft 250 Verbände und gegen 300 000 Unternehmen vertritt.

Zu den 6 Milliarden kämen langfristige BVG-Ausgleichsmassnahmen in Höhe von 2,4 Milliarden Franken, BVG-Ausgleichsmassnahmen für die Übergangsgeneration von 400 Millionen Franken, die Aufhebung des Freibetrags bei erwerbstätigen Rentnern über 410 Millionen Franken, Beitragsmassnahmen bei den Selbständigerwerbenden für 280 Millionen Franken sowie zusätzliche Beitragseinnahmen wegen dem Frauenrentenalter 65 in Höhe von 50 Millionen Franken hinzu. Eine solche Vorlage lehnt der sgv strikte ab.

sgv fordert eine Schuldenbremse für die AHV

Sollten sich die AHV-Finanzen schlechter als prognostiziert entwickeln, könnten aufgrund der vorgeschlagenen Interventionsklausel zudem die Lohnbeiträge um bis zu 1% erhöht werden, führte der sgv weiter aus. Auch er fordere eine Schuldenbremse für die AHV. Eine solche müsse aber ausschliesslich leistungsseitig ansetzen, da sonst viel zu sorglos mit den vorhandenen Mitteln umgegangen werde.

sgv fordert Neuaufsetzung der Vorlage

Den Einsparungen von knapp 1 Milliarde Franken würden dank der erhöhten Lohnbeiträge dann Mehreinnahmen von über 12 Milliarden Franken gegenüberstehen. Sowohl für den sgv als auch die Wirtschaft sei dies nicht tragbar. Der sgv fordert den Bundesrat deshalb klar auf, das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) mit der grundsätzlichen Neuaufsetzung der Vorlage zu beauftragen.

Alternativmodell setzt auf schrittweise Erhöhung des Rentenalters

Der sgv fordert zusammen mit Nationalrat Thomas de Courten einen Paradigmenwechsel und präsentierte ein Alternativmodell, bei dem die Leistungen neu den vorhandenen finanziellen Mitteln angepasst werden sollen und nicht umgekehrt. Letztlich sei der Weg der Rentenaltererhöhung der einzige umsetzbare und langfristig wirkungsvolle Ansatz zur Sanierung der Altersvorsorge.

In einer im Juni 2013 eingereichten Motion verlangt Thomas de Courten, dass das Rentenalter künftig jährlich in Monatsschritten den finanziellen Bedürfnissen der AHV angepasst werde. Würde die Erhöhung des Rentenalters moderat und stufenweise ausgestaltet, lasse sich das auch politisch umsetzen, gab sich Courten überzeugt.

Schliesslich würden sich sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber längst nicht mehr auf ein fixes, Jahre im Voraus festgelegtes Rentenalter ausrichten. Das lasse sich aus der Tatsache ablesen, dass gemäss jüngst vom Bund veröffentlichten Studien bereits heute rund zwei Drittel der Versicherten variable Lösungen wählten und entweder vor oder nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters in Pension gingen.

Pensionsalter 68 Jahre?

Wie der sgv weiter ausführte, habe das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in den Finanzperspektiven der AHV 2012 bis 2030 vom Mai 2013 die jährliche Finanzierungslücke der AHV bis zum Jahr 2025 gemäss Szenario Mittel auf 4,5 Milliarden Franken beziffert. Bis 2030 solle die jährliche Finanzierungslücke gar auf 9,1 Milliarden Franken anwachsen.

Um diese Lücke mittels Mehrwertsteuererhöhungen zu decken, müssten die Mehrwertsteuersätze um 1,5% (bis 2025) bzw. um 2,4% (bis 2030) angehoben werden, so der sgv. Wolle man die Lücke über Lohnbeitragserhöhungen füllen, müssten zusätzliche Lohnprozente in Höhe von 1,2% (bis 2025) bzw. von 1,9% (bis 2030) eingefordert werden. Um die Deckungslücke aber ausschliesslich mittels Rentenaltererhöhung aufzufangen, brauche man das ordentliche Rentenalter bis 2030 um rund 3 Jahre anzuheben.

Ausreichend Arbeitsplätze für ältere Mitarbeitende?

Bedenken, wonach die Wirtschaft nicht in der Lage wäre, ausreichend Arbeitsplätze für ältere Mitarbeitende anzubieten, hält der sgv für unbegründet. Das Gros der Mitarbeitenden im betreffenden Alter sei bereits heute voll im Erwerbsleben integriert und könne aus Sicht der Wirtschaft und auch zum Vorteil der Betriebe für eine überblickbare Zeit weiterbeschäftigt werden. Die starke Zuwanderung der letzten Jahre zeige zudem, das in der Schweiz mehr als genug Arbeit vorhanden sei, um sukzessive und moderate Anpassungen beim ordentlichen Rentenalter aufzufangen.

Renten-Leistungsniveau soll zur Diskussion gestellt werden

Sgv Präsident Jean-François Rime kritisierte weiter, dass die Vorlage von Bundesrat Berset das Leistungsniveaus kaum zur Diskussion stelle und einseitig auf Mehreinnahmen aus der Wirtschaft und der Bevölkerung setze. Gleichzeitig wolle sich der Bund aus der Verantwortung stehlen, indem er seine Beteiligung zur Finanzierung der AHV abbaue und damit die Kosten auf die Privaten überwälze.

Der Bund prüft im Rahmen der Reform Altersvorsorge 2020 die finanzielle Entflechtung der AHV vom Bundeshaushalt. Man prüft konkret, ob der AHV-Bundesbeitrag an die Entwicklung der Erträge aus der Mehrwertsteuer gekoppelt werden sollen. Gemäss sgv sei dies nichts anderes als der Versuch, die Schuldenbremse zu umgehen, die massgeblich dafür verantwortlich sei, dass die Schweizer Wirtschaft zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt gehöre.

Arbeitgeberverband fürchtet Verzögerung der Altersreform

In einer Stellungnahme zu den Äusserungen des sgv erklärte auch der Schweizerische Arbeitgeberverband, dass eine schrittweise Erhöhung des Referenz-Rentenalters für ihn Priorität habe. Er warnte zudem vor dem überladenen Reformpaket des Bundesrates. Scheitere es, so werde die dringend notwendige Reform der Altersvorsorge weiter verzögert.

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