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«Pensionskassen können auf Retrozessionen verzichten. Dies aber nur dann, wenn es im Interesse ihrer Versicherten ist»

Freitag, 19.04.2013

Das Bundesgericht hat bestätigt, dass Gelder, welche Banken von Dritten für den Vertrieb von Finanzprodukten erhalten, grundsätzlich ihren Kunden zustehen. Viele Banken haben sich mittels Verträgen dagegen abgesichert. Pensionskassen könnte daraus nun ein Nachteil entstehen, wie Alex Geissbühler von KPMG Schweiz gegenüber vorsorgeexperten.ch erklärt.

Herr Geissbühler, mit den Urteilen 4A_127/2012 und 4A_141/2012 hat das Bundesgericht klargestellt, dass Vertriebsentschädigungen und Bestandespflegekommissionen, welche Banken von Anbietern für Finanzprodukte erhalten, grundsätzlich dem Kunden zustehen. Können Sie kurz erklären, was genau man unter Retrozessionen und Kickbacks versteht?

Retrozessionen und Kickbacks meinen dasselbe. Dabei geht es um Folgendes: Wir haben eine Bank, einen Kunden und beispielsweise eine Fondsleitung. Die Fondsleitung verwaltet den Fonds und sieht zu, dass die Fondsanteile durch jemanden, zum Beispiel eine Bank, vertrieben werden. Die Bank hat mit der Fondsleitung einen Vertriebsvertrag. Damit verpflichtet sie sich, diese Fonds an ihre Kunden zu vertreiben. Die Bank erhält dafür Bestandespflegekommissionen. Mit dem Kunden hat die Bank in der Regel einen Vermögensverwaltungs- sowie einen Depotvertrag.

Solche Vermögensverwaltungsverträge sind, wie auch die Anlageberatungsverträge, dem Auftragsrecht, also dem Obligationenrecht zuzuordnen. Ende Jahr gleicht die Bank mit der Fondsleitung ab, wie viele Fonds sich in den Depots ihrer Kunden befinden. Dafür erhält sie eine prozentuale Bestandespflegekommission. Es gibt aber auch Retrozessionen, die allein Bezug auf Transaktionen nehmen. In solchen Fällen erhält die Bank eine Retrozession bzw. Rückvergütungen pro Transaktion und Fondsanteil, den sie einem Kunden ins Depot gelegt hat. In besagtem Bundesgerichtsurteil ging es jedoch um Bestandespflegekommissionen.

Worin besteht das Kernproblem für die Bank bzw. den Kunden?

Zwischen Bank und Kunde besteht ein Auftragsverhältnis. Das Bundesgericht hat festgelegt, dass eine Bank, in diesem Fall der Auftragnehmer, die von einem Dritten, hier der Fondsleitung, in Zusammenhang mit der Ausübung des Auftrags Geld erhält, dieses dem Auftraggeber, hier also dem Kunden, gehört. Das entspricht im Übrigen einem generellen Rechtsprinzip aus dem Auftragsrecht, welches das Bundesgericht angewendet hat. Dieser Umstand macht die Situation insofern schwierig, als sich die FINMA in der Folge als Aufsichtsorgan über die Banken im Zuge eines privatrechtlichen Streits eingebracht hat: Sie hat gestützt auf besagtes Bundesgerichtsurteil die Mitteilung Nummer 41 herausgegeben und darin die Banken aufgefordert, den Bundesgerichtsentscheid umzusetzen. Die FINMA verlangte dabei insbesondere, dass die Banken ihre Kunden kontaktieren und über den Bundesgerichtsentscheid informieren. Ein Teil der Banken wehrt sich nun gegen diese Einmischung der Aufsichtsbehörde in privatrechtliche Verhältnisse.

Wie gewichtig ist diese FINMA-Mitteilung?

Eine Bank, die systematisch gegen Privatrecht verstösst, kann laut FINMA keine einwandfreie Geschäftsführung mehr gewährleisten. Ist dies der Fall, ist die Aufsichtsbehörde gezwungen einzugreifen, da sie sowohl die Reputation des Finanzplatzes als auch die Kunden schützen muss.

Inwieweit wirkt sich hier bereits die europäische Regulierung MiFID aus?

In Europa wird derzeit darüber diskutiert, ob Retrozessionen – generell oder in einem beschränkten Umfang – unter dieser Schutznorm der EU noch möglich sind. MiFID schützt den Kunden aber nicht auf privatrechtlicher sondern auf aufsichtsrechtlicher Ebene. Die Schweiz wird die Kernelemente von MiFID früher oder später übernehmen. Die Regelung der Retrozessionen wird von dieser Warte aus sicherlich auch ein Thema sein. Die FINMA dürfte den möglichen Einfluss von MiFID bei ihrem Entscheid zu dieser Mitteilung jedoch kaum berücksichtigt haben. Ihr ging es sicherlich vielmehr um ihre aufsichtsrechtliche Verantwortung.

Ist diese Mitteilung der FINMA für die Banken rechtlich bindend?

Nein. Im Gegensatz zu Rundschreiben der FINMA, die einzuhalten sind und quasi-gesetzliche Relevanz haben, hat diese Mitteilung zwar rechtlich keine Relevanz. Mitteilungen tun jedoch den Willen der FINMA kund. Insofern kann die FINMA damit einen gewissen Druck ausüben.

Welche Finanzprodukte sind von diesem Bundesgerichtsentscheid erfasst?

Es geht weniger um einzelne Finanzprodukte als vielmehr darum, ob eine Bank für ein Produkt, das sie dem Kunden vermittelt hat, von einem Dritten Geld erhalten hat. Dabei steht der Vermögensverwaltungsauftrag im Zentrum. Hat jemand also nur ein Lohnkonto bei der Bank, muss er sich darüber keine Gedanken machen, weil er mit der Bank keinen Vermögensverwaltungsauftrag hat. Auch Aktien und Obligationen sind von Retrozessionen kaum betroffen. Der Vertrieb von Fonds und strukturierten Produkten hingegen tendenziell schon.

Wie steht es mit Versicherungspolicen?

Hat die Bank vom Kunden den Auftrag erhalten, ihm ein gutes Versicherungsprodukt zu vermitteln, kann es sein, dass die Bank von der Versicherungsgesellschaft für die Vermittlung von z.B. einer entsprechenden Lebensversicherungspolice Retrozessionenen erhält.

Wie hoch schätzen Sie die Summe, welche Banken für Retrozessionen an ihre Kunden weitergeben müssten?

Bei solchen Angaben bin ich immer vorsichtig. Zunächst gilt es abzuklären, von welchen Beträgen die Rede ist. Geht es um Beträge, welche Banken tatsächlich an die Kunden zurückzahlen müssten oder geht es um solche, für welche die Banken allenfalls effektiv eine Gegenleistung erbracht haben? Am Ende muss jeder einzelne Fall überprüft und auch festgestellt werden, was für Verträge die Banken mit den Kunden haben.

Als das Bundesgericht 2006 den ersten Retrozessionen-Fall entschied, wo es um einen externen Vermögensverwalter ging, hat der Grossteil der Bankenbranche reagiert. Sie hat die Kundenverträge in vielen Bereichen angepasst. So wurden die Kunden im Fall von Vermögensverwaltungsverträgen darauf aufmerksam gemacht, dass die Bank Retrozessionen erhalten darf und der Kunde explizit darauf verzichtet. Entsprechend sind Retrozessionen, die nach 2006 geflossen sind, in vielen Fällen tendenziell nicht rückzahlbar.

Es gibt allerdings Banken, die nach dem 2006er Entscheid des Bundesgerichts der Auffassung waren, dass dieses Urteil nur externe Vermögensverwalter betreffe. Banken mit Weitsicht haben jedoch erkannt, dass dieser Entscheid dem Grundsatz nach auch Banken betrifft. Das Bundesgericht hat dies nun bestätigt.

Könnte ein Kunde nun allenfalls behaupten, dass der 2012er Entscheid des Bundesgerichts bloss eine Bestätigung des 2006er Entscheids war und Verträge, welche die Banken nach 2006 angepasst haben, daher nicht rechtens sind?

Nein, denn wir befinden uns hier nicht im zwingenden Recht, dass Retrozessionen immer weitergegeben werden müssten. Wir haben in der Schweiz noch keine aufsichtsrechtliche Norm wie etwa MiFID II, die das verbieten würde. Die Retrozessionen müssen nur dann an die Kunden weitergegeben werden, wenn vertraglich nichts anderes vereinbart wurde. Hat der Kunde vertraglich zugestimmt, auf die Retrozessionen zu verzichten, ist das rechtens.

Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung müssen solche Verträge aber erstens eine Information beinhalten, dass die Bank Retrozessionen, die in Zusammenhang mit einem Vermögensverwaltungsvertrag anfallen, annehmen und einbehalten darf. Zweitens muss der Kunde die Bandbreite möglicher Retrozessionen kennen, welche die Bank basierend auf dem Vermögensverwaltungsvertrag mit dem Kunden einnimmt. Drittens muss der Kunde den Vertrag unterschrieben und damit seine Zustimmung gegeben haben, dass die Bank die Retrozessionen einbehält.

Was passiert, wenn kein solcher Vertrag zwischen Bank und Kunden besteht?

Banken, die keine vertragliche Abrede getroffen haben, kommen jetzt unter Druck. Dann gilt – wie im Bundesgerichtsurteil abgebildet – das Obligationenrecht.

Gilt das auch für die Anlageberatung eines Kunden durch die Bank?

Bei Beziehungen, in denen kein Vermögensverwaltungsvertrag vorliegt und die Bank den Kunden lediglich berät, handelt es sich um Anlageberatung. Das bedeutet, dass der Kunde von seinem Kundenbetreuer Informationen und eine Beratung bezüglich dem Kauf von Anlageprodukten erhält. Letztlich entscheidet der Kunde selbst, welches Produkt er kaufen will. Die Banken gehen davon aus, dass die Anlageberatung von der Rechtsprechung des Bundesgerichts ausgenommen ist. Das wird ihnen gerne als Ausrede ausgelegt.

Ist es denn eine Ausrede von den Banken?

Liegt ein Auftragsverhältnis vor, was auch in der Anlageberatung der Fall ist, und erhalten die Banken von Dritten in diesem Zusammenhang Geld, ist das Risiko gross, dass ein Gericht dieses als Retrozession anschauen würde, welche dem Kunden zusteht. Auch hier muss dies von Fall zu Fall geprüft werden.

Nach welcher Zeit verfallen diese Forderungen für die Kunden?

Die Frage nach der Verjährungsfrist für solche Forderungen ist eine heikle Diskussion, die sich auf das Obligationenrecht stützt. Sie umfasst sowohl die Kundenverträge als auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bank. Gewisse Banken argumentieren, die Verjährungsfrist betrage fünf Jahre. Andere wiederum behaupten, es handle sich um eine Verjährungsfrist von 10 Jahren. Eine Forderung, die sich auf einen Vertrag stützt, verjährt grundsätzlich nach 10 Jahren.

Nach fünf Jahren verjähren hingegen periodische Leistungen, etwa Zinsen, die wiederkehrend sind. Die Frage ist, wie eine Retrozession einzustufen ist. Darüber müsste letztlich das Bundesgericht anhand eines konkreten Falles entscheiden.

Das bedeutet also, dass jeder einzelne Kunde gegen die Bank klagen müsste. Ist das nicht auch eine Frage der Zeit?

Ich denke, man darf die Zufriedenheit der Kunden mit ihrer Bank nicht ausser Acht lassen. Ist ein Kunde mit seiner Bank zufrieden, weil sie ihn beispielsweise gut durch die Finanzkrise gebracht und dabei sogar eine gewisse Performance für ihn erzielt hat, scheint es meiner Ansicht nach höchst unwahrscheinlich, dass dieser Kunde seine Bank wegen der Retrozessionen, die ihm vielleicht entgangen sind, einklagt. Hat die Bank mit einem Fondsanbieter ausserdem ein gutes Verhältnis, profitiert der Kunde davon, weil er dadurch Zugriff auf gute Produkte erhält.

Wie steht es um die Institutionellen Kunden wie Pensionskassen? Was für Mandate haben sie in der Regel mit den Banken?

Viele Pensionskassen erteilen einer Bank oder einem externen Vermögensverwalter das Mandat, die Pensionskassengelder zu verwalten. Dabei handelt es sich um einen Auftrag. Tätigt die Bank oder der Vermögensverwalter in Zusammenhang mit diesem Mandat Investitionen und erhält von Dritten dafür Gelder, handelt es sich ebenfalls um Retrozessionen, die unter das Bundesgerichtsurteil fallen.

Bei Pensionskassen kommt allerdings noch eine Komponente hinzu: Pensionskassen sind gegenüber den Versicherten verpflichtet, für sie das Beste anzustreben. Auch wenn die Pensionskasse mit der Performance der Bank bzw. des Vermögensverwalters zufrieden ist, so kann sie nicht wie ein Privatkunde nachträglich noch auf Retrozessionen verzichten. Es ist sogar denkbar, dass Pensionskassen die Pflicht haben, Retrozessionen einzufordern, weil sie sich gegenüber den Versicherten ansonsten haftbar machen würden. Pensionskassen sind jetzt wohl in der Pflicht, für ihre Kunden mit dem Vermögensverwalter Kontakt aufzunehmen.

Offenbar haben viele Pensionskassen mittels entsprechender Verträge auf die Rückerstattung von Retrozessionen verzichtet. Was können sie tun?

Auch Pensionskassen können auf Retrozessionen verzichten. Dies aber nur dann, wenn es im Interesse ihrer Versicherten ist. Es kommt dabei zu einer Abwägung von Interessen, welche die Pensionskasse gegenüber ihren Versicherten wahrnimmt und jenen, die sie gegenüber dem Vermögensverwalter bzw. den Produzenten von Anlageprodukten vertritt. Letztlich kann es für eine Pensionskasse und ihre Versicherten durchaus interessant sein, mit dem Vermögensverwalter einen guten Vertrag zu haben, der ihr den Zugang zu rentablen Produkten sichert. Das Problem liegt dann eher bei den Versicherten und ihrer Pensionskasse, die durch ein gewisses Verhalten ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben könnte.

Angenommen, die Pensionskasse hat auf die Rückerstattung von Retrozessionen verzichtet. Wie kann sie das Problem, damit allenfalls ihre Sorgfaltspflicht verletzt zu haben, lösen?

Es ist denkbar, dass die Pensionskasse in diesem Fall den Vermögensverwalter haftbar macht. Das ist juristisch jedoch hoch komplex.

Was kann eine Pensionskasse tun, die jetzt realisiert, dass sie mit der Abtretung von Retrozessionen ihre Sorgfaltspflichten verletzt hat? Muss sie zwingend den Rechtsweg beschreiten?

Institutionelle Investoren wie Pensionskassen haben primär die Aufgabe, das Vermögen ihrer Kunden, in diesem Fall also der Versicherten, zu verwalten. Es scheint daher unwahrscheinlich, dass eine Pensionskasse nun argumentieren kann, sie habe ihre Sorgfaltspflichten nicht gekannt.

Tatsächlich gibt es aber auch kleinere Pensionskassen, deren Vermögen vielleicht nicht in dem Rahmen verwaltet werden, wie das bei hoch professionalisierten Institutionellen der Fall ist. Wie können sich diese Kassen nun verhalten?

Viele Pensionskassen haben das Gespräch mit ihrem Vermögensverwalter bzw. ihrer Bank gesucht. Sie müssen sich ausserdem darüber informieren, wie hoch der Betrag für die einkassierten Retrozessionen ist. Haben sie rechtsgültig darauf verzichtet, müssen sie klären, ob sie gegenüber ihren Versicherten dafür haften oder ob die Versicherten letztlich davon profitiert haben. Grundlage dafür ist das geltende Auftragsrecht. Die Gerichtspraxis dient dabei nur als Auslegungshilfe.

Könnten sich Pensionskassen plötzlich mit Forderungen seitens der Versicherten konfrontiert sehen?

Forderungen gegenüber den Banken können Versicherte nicht direkt einklagen, weil sie zu ihnen in keinem Rechtsverhältnis stehen. Sie müssen sich deshalb allenfalls an die Pensionskasse selber halten. Für die Pensionskassen besteht in einem solchen Fall dann ein Risiko, wenn sie die Sorgfaltspflichten verletzt haben sollten. Auch hier gilt es, den Einzelfall zu prüfen.

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