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«Kleinere Pensionskassen werden voraussichtlich nicht überleben können»

Montag, 09.05.2011
Oliver Bienek, Liberty Vorsorge

Oliver Bienek (45) ist Geschäftsführer von Liberty Vorsorge sowie Vorsorge- und Finanzberater. Nach einer kaufmännischen Banklehre absolvierte er einen MBA an der Business School Lausanne und erwarb sich 15 Jahre Führungserfahrung bei internationalen Banken wie J.P. Morgan und Morgan Stanley sowie in der Schweizer Pensionskassenbranche. Er ist Delegierter des Verwaltungsrates der swissclear ag, Schwyz und ehemaliges Stiftungsratsmitglied diverser Vorsorgeeinrichtungen.

Die Strukturreform in der beruflichen Vorsorge hat für Unternehmen und Versicherte weitreichende Konsequenzen. Im Gespräch mit vorsorgeexperten.ch zeigt Oliver Bienek von Liberty Vorsorge auf, wie sich der Vorsorgemarkt verändern wird und welche Chancen sich Anbietern und Versicherten dadurch bieten.

Herr Bienek, seit Ende der Vernehmlassung zu den geplanten Verordnungen über die Aufsicht in der beruflichen Vorsorge (BVV1), über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV2) sowie über die Anlagestiftungen (ASV) sind bald zwei Monate vergangen. Die Kontroversen darüber reissen jedoch nicht ab. Worin sehen Sie die grössten Probleme?

Die Strukturreform beinhaltet einmal die neue Ausrichtung der Aufsichtsbehörde. Künftig gibt es eine Oberaufsicht sowie regionale Aufsichtsbehörden. Ursprünglich sollte die Oberaufsicht nur aus einem kleinen Gremium bestehen, das sich aus externen Leuten, die unabhängig und neutral sind, zusammensetzt. Im Rahmen der Vorbereitungen zur Umsetzung der Strukturreform ist daraus eine grosse Behörde mit 28 Stellenprozenten geworden. Die Kosten, die Vorsorgeeinrichtungen entstehen, um den neuen Aufsichtsanforderungen nachzukommen, sind enorm. Ein weiterer Punkt ist die Delegation von Verantwortung an die Revisionsstellen, was ebenfalls mit mehr Kosten verbunden ist. Ein dritter Punkt sind die neuen Regelungen betreffend die Vermögensverwaltung. Sie kann neuerdings nur noch von wenigen Marktteilnehmern durchgeführt werden. Durch diese Beschränkung des Marktes entstehen den Vorsorgeeinrichtungen ebenfalls höhere Kosten. Die ursprüngliche Intension, die Verwaltungskosten in der Vorsorge zu senken und den Aufwand in der zweiten Säule zu reduzieren, macht die Strukturreform zunichte.

Neben den Kosten wird vor allem auch die Delegation von Verantwortung an die Revisionsstellen kritisiert. Welche Probleme tun sich damit auf?

Die Revisionsstellen von Vorsorgeeinrichtungen werden mit der Strukturreform eine ausgeweitete Rolle übernehmen müssen. Viele werden damit überfordert sein, weil ihnen die Mitarbeitenden und das nötige Knowhow fehlen. Künftig sollen deshalb nur noch gewisse Revisoren zugelassen sein, um Vorsorgeeinrichtungen zu prüfen. Das wird wohl auch den Revisionsstellen Probleme schaffen. Ähnlich wie bei den Banken gibt es letztlich vielleicht nur noch wenige Revisionsstellen, die Überprüfungen vornehmen können. Damit wird dem Markt Wettbewerb entzogen, was sich wiederum in höheren Kosten niederschlägt.

Mit diesen Regelungen wird den Vorsorgeeinrichtungen Spielraum entzogen. Inwiefern müssen sie ihre Geschäftsmodelle der neuen Realität anpassen?

Gewisse Geschäftsmodelle müssen sicherlich überdacht werden. Unsere Lösung ist, Vorsorge in verschiedenen Bereichen wie Freizügigkeit, Kollektivleben und in der dritten Säule aus einer Hand anzubieten. Viele Versicherte haben Vorsorgeprodukte von verschiedenen Anbietern. Oft wissen die Versicherten gar nicht, über wie viel Vorsorgekapital sie insgesamt verfügen, wie das Geld angelegt ist und welche Risiken sie damit eingegangen sind. Sie können in Vorsorgefragen meist nicht mitreden. Gerade darin liegt meines Erachtens aber die Lösung, dass man für die Versicherten mehr Transparenz schafft und ihnen durch mehr Einblick die Möglichkeit gibt, selbst mitzubestimmen. Ich stimme mit der Strukturreform aber insofern überein, als dass Vorsorgenehmer und ihr Vorsorgekapital besser geschützt werden sollten.

Wird Vorsorgegeld denn nicht ausreichend geschützt?

Nehmen wir das Beispiel des Sicherheitsfonds für Freizügigkeitsgelder. Die Freizügigkeitsverordnung wurde zwar auch einer Reform unterzogen, weshalb seit dem 1. Januar 2011 für die Freizügigkeit neue Anlagevorschriften gelten. Sie müssen das Vorsorgekapital bei Banken halten, womit die Gelder nur noch auf wenige Bankinstitute und somit einem höheren Ausfallrisiko ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass diese Guthaben durch den Einlegerschutz nur bis zu 100‘000 Franken abgesichert sind. Letztlich sind diese Freizügigkeitsgelder aber Pensionskassengelder. Ich bin der Ansicht, Freizügigkeitsgelder müssten gleich behandelt werden wie Pensionskassengelder und deshalb dem Sicherheitsfonds angeschlossen werden. Ein Versicherter, der aus der Pensionskasse austritt, verliert nämlich den Schutz über den grössten Teil seines Vorsorgevermögens. Das ist für viele nur schwer nachvollziehbar.

Damit, dass die neue Freizügigkeitsverordnung bereits in Kraft gesetzt wurde, ist dieses Ansinnen wohl definitiv vom Tisch.

Liberty wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass Freizügigkeitsgelder künftig dem Sicherheitsfonds unterstellt werden. Dazu wird es wohl einen zweiten Anlauf brauchen. Der muss über die politische Schiene laufen. Im Übrigen wird auch die Säule 3a kaum von der Strukturreform erfasst.

Sehr viele Leute sparen Geld fürs Alter mit der Säule 3a. Ist dieses Vorsorgegeld besser geschützt?

Die gebundene Vorsorge ist in einer eigenen Verordnung geregelt, der BVV3. Auch diese Gelder sind nur bis zu 100‘000 Franken privilegiert gesichert. Damit habe ich allerdings weniger Mühe, da es sich um privates Vorsorgesparen handelt.

Sie setzen sich schon seit längerem für eine bessere Absicherung von Vorsorgegeldern ein. Wie kamen Sie auf die Idee, eine unabhängige Vorsorgestiftung zu gründen?

Als wir vor etwas mehr als fünf Jahren die Liberty Freizügigkeitsstiftung gegründet haben, wollten wir uns klar von Versicherungen und Banken abgrenzen. Dies geschah durch die Wahl eines völlig unabhängigen Geschäftsmodells. Unser Ziel war es, bessere Konditionen und grössere Flexibilität bei den Anlagen zu bieten. Dieses Modell haben wir konsequent angewendet, sei es im Bereich der Freizügigkeit und der dritten Säule, für die Flex Investstiftung (Bel Etage) oder, soweit zulässig, auch für die BVG Sammelstiftung. So kam auch der Name Liberty zustande, der für Freiheit und Flexibilität steht.

Wo liegt Ihrer Meinung nach das Problem bei Banken oder Versicherungen?

Diese Gebilde sind oftmals sehr gross und müssen entsprechend standardisiert funktionieren. Das schlägt sich natürlich auch in den Produkten und im Umgang mit den angeschlossenen Firmen und Versicherten nieder. Kleinere Vorsorgeunternehmen können sehr viel flexibler, mobiler und vielleicht etwas kundenorientierter auftreten.

Was sollte man von seiner Vorsorgeeinrichtung erwarten dürfen?

Transparente Information, einen qualitativ hochstehenden Kundenservice und Fachkompetenz. Man sollte schon im Vorfeld eine kompetente und professionelle Beratung suchen. Dabei ist natürlich auch wichtig, dass allfällige Risiken, die mit einer Anlage verbunden sind, erklärt werden. Am Schluss sollte jeder das erhalten, was ihm versprochen worden ist. Gleichzeitig müssen Vorsorgeeinrichtungen die Anlagen wie auch ihre Kosten im Griff behalten und transparent darüber berichten können.

Gefährdet die Strukturreform einzelne dieser Ansprüche?

Obwohl die Strukturreform durchaus gute Ansätze verfolgt, führt sie letztlich zu einer erneuten Kostendiskussion. Ursprünglich sollten die Kosten gesenkt werden, damit den Versicherten mehr Vorsorgekapital bleibt. Dieses Ziel wurde klar verfehlt. Wenn die Kosten durch den Staat auch noch angehoben werden, schadet das dem Image der ganzen zweiten Säule. Mit der Kostendiskussion rückt alles andere in den Hintergrund. Ob eine Revisionsstelle mehr oder weniger Verantwortung erhält, und ob das gut oder schlecht ist, interessiert die Versicherten in der Regel wenig. Es interessiert sie aber sehr wohl, wenn damit wieder mehr Kosten generiert werden, für die sie mit höheren Prämien aufkommen müssen.

Welche Ansätze in der Strukturreform finden Sie gut?

Ich bin grundsätzlich damit einverstanden, dass man den Schutz in der zweiten Säule erhöht, indem man beispielsweise dem Wildwuchs in der Vermögensverwaltung von Vorsorgegeldern einen Riegel schiebt. Nicht jeder kann einfach Pensionskassengelder verwalten oder auch Revisionsstelle einer Pensionskasse sein. An solche Leute müssen klare Anforderungen und Qualifikationen gestellt werden. Das muss aber transparent sein. Es muss eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die es grundsätzlich jedem erlaubt, sich dafür zu qualifizieren, sofern er die gestellten Anforderungen erfüllt. Dann liegt es an jedem Einzelnen, die nötigen Schritte einzuleiten. Eine solche Grundlage fehlt bisher, weshalb es so viel Aufruhr gibt.

Was glauben Sie, wie die Strukturreform jetzt umgesetzt wird?

Gewisse Analogien lassen sich vielleicht anhand der Prozesse zur Umsetzung der neuen Freizügigkeitsverordnung aufzeigen. Die Summe der Pensionskassengelder ist allerdings um ein vielfaches grösser als jene der Freizügigkeitsgelder. Entsprechend ist die Lobby rund um die Pensionskassengelder wesentlich stärker und die Zahl derer, die sich an diesem Topf nähren, viel grösser. Setzen wir also den Widerstand, der sich während der Vernehmlassung gegen die neue Freizügigkeitsverordnung geregt hat, in Bezug zur tatsächlichen Verordnung, die heute gilt, ist davon auszugehen, dass das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV wenig von der Kritik an den neuen Verordnungen zur Strukturreform in der beruflichen Vorsorge berücksichtigen wird. Aufgrund der sehr viel stärkeren Lobby in der zweiten Säule hoffe ich allerdings, dass das BSV via Bundesrat sich der Sache seriös annehmen und nochmals über die Bücher gehen wird. Ich gehe aber davon aus, dass gewisse Sachen nicht mehr diskutiert werden und damit gesetzt sind. Das BSV wird vor allem die Sicherheit und den Schutz der Versicherten stärken wollen, weshalb die Regelungen für die Vermögensverwalter wohl so belassen werden. Es liegt jetzt am Gesetzgeber, die benötigten gesetzlichen Grundlagen dazu zu schaffen. Letztlich wird es nur eine Frage der Übergangsfristen sein, die unter Umständen verlängert werden, bis die neuen Regelungen in Kraft treten.

Wie sehen Sie die Zukunft der beruflichen Vorsorge?

Ich bin erstens der Auffassung, dass diese ganzen Änderungen zu einer Strukturbereinigung in der zweiten Säule bzw. unter den Pensionskassen führen werden. Kleinere Pensionskassen werden aufgrund des regulatorischen Drucks voraussichtlich nicht überleben können. Eine Mindestgrösse, um überlebensfähig zu sein, ist meines Erachtens etwa eine halbe Milliarde Franken. Kassen, die darunter liegen, werden wohl Partnerschaften eingehen oder fusionieren müssen. Es wird auch Firmen geben, die sich aus Kostengründen überlegen werden, ob sie weiterhin firmeneigene Stiftungen betreiben oder sich nicht lieber Sammelstiftungen anschliessen wollen. In diesem Bereich wird sicherlich einiges gehen. Erste Anzeichen sind bereits seit einiger Zeit zu beobachten.

Würde die Strukturreform damit indirekt auch Veränderungen zugunsten der Versicherten provozieren?

Die Strukturreform sollte für mehr Sicherheit und tiefere Kosten stehen. Die Schweiz ist aber auch ein Land, das sich immer über seine Innovationskraft ausgezeichnet hat. Anbieter in der beruflichen Vorsorge müssen versuchen, neue Angebote zu kreieren. Leider gibt es aber immer noch zu viele Leute im Markt, die an alten Strukturen festhalten.

Woran könnte das liegen?

Das hat wohl damit zu tun, dass die alten Strukturen für sie sehr gut funktioniert haben.

Würden die Kosten durch eine Strukturbereinigung unter den Pensionskassen bzw. eine Einschränkung des Wettbewerbs nicht auch wieder steigen?

Den Versicherten werden inskünftig sicherlich weniger Vorsorgeeinrichtungen zur Verfügung stehen. Diese wenigen Kassen werden aber in Konkurrenz zueinander gesetzt, gerade auch dadurch, dass sich kleine Sammelstiftungen oder firmeneigene Stiftungen neu orientieren und mehr bieten müssen. Vorsorgeeinrichtungen müssen sich wieder vermehrt auf die Kundenbedürfnisse konzentrieren und versuchen, für denselben Preis einen echten Mehrwert zu bieten.

Was spricht dagegen?

Aus meiner Sicht spricht gar nichts dagegen. Der Anstoss zu mehr Wettbewerb und einer grösseren Angebotspalette muss aber auch vonseiten Arbeitgeber und ihren Angestellten kommen, in dem sie den kosten- wie auch den qualitätsbewussten und innovativen Anbietern Vorrang geben.

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