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Ist die Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses eine Absage an Europa?

Donnerstag, 15.01.2015

Die Schweizerische Nationalbank gibt die Euro-Untergrenze von 1.20 Franken auf. Als Grund nennt sie die «internationale Entwicklung». Marktbeobachter sehen verschiedene Gründe darin.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat heute angekündigt, den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro aufzuheben. Wie die SNB erklärte, hätten sich die Unterschiede in der geldpolitischen Ausrichtung der bedeutenden Währungsräume in letzter Zeit markant verstärkt und dürften sich noch weiter akzentuieren. Vor diesem Hintergrund sei die Nationalbank zum Schluss gekommen, dass die Durchsetzung und die Aufrechterhaltung des Euro-Franken-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt seien.

Der grosse Druck auf den Euro-Franken-Mindestkurs, ausgelöst unter anderem auch durch geopolitische Entwicklungen wie die Russland-Krise mit dem Zerfall der russischen Währung, war laut SNB nicht ausschlaggeben für diesen Entscheid. Dennoch: Das Halten von Franken werde für Spekulanten sehr teuer werden, wie SNB-Präsident Thomas Jordan gegenüber Medien äusserte. Auch werde man am Devisenmarkt wieder aktiv werden, wenn es nötig sei.

Studien haben zudem erst kürzlich belegt, dass etwa Schweizer Wohnimmobilien bei ausländischen Investoren sehr begehrt sind. Das treibt die Immobilienpreise an, etwas wogegen die Nationalbank seit längerem ankämpft.

Was bewirkt die Aufhebung der Euro-Untergrenze?

Der Umstand, dass die SNB den Mindestkurs aufhebt, hat weitreichende Auswirkungen. Noch bevor SNB-Präsident Jordan nach der Ankündigung vor die Medien trat, erklärte Swatch-Patron Nick Hayek gegenüber der Nachrichtenagentur sda, dass er einen «Tsunami» befürchte, der damit ausgelöst würde. Nicht nur für die Exportindustrie und den Tourismus, sondern für die ganze Schweiz. Tatsächlich gehen rund 60% der Schweizer Exporte in den Euroraum.

Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) sieht in der Aufhebung der Euro-Untergrenze für den Werkplatz Schweiz eine massive Gefahr. Zunächst würden die schädlichen Folgen in der Exportindustrie spürbar. In der Folge seien aber auch auf andere Arbeitsplätze dramatische Auswirkungen zu befürchten, wie SGB-Chefökonom Daniel Lampart gegenüber der sda äusserte. Zudem steige die Deflationsgefahr, die Gefahr einer Negativspirale von schrumpfenden Preisen bei zurückgehenden Investitionen und geringerem Konsum.

Wie haben die Finanzmärkte auf die Aufgabe der Untergrenze reagiert?

Die Ankündigung der SNB führte zu markanten Turbulenzen an den Finanzmärkten: innert Stunden fiel der Euro-Kurs zeitweilig bis zu 29% und tendierte nach dem Mittag bei 1.0267 Franken; für einen US-Dollar mussten noch 0.88 Franken bezahlt werden. Der Kursverlust der Schweizer Leitbörse betrug rund 10%. 

Ist Euro-Krise Hauptgrund für die Aufhebung der Euro-Untergrenze?

Bereits in der Medienmitteilung vom Morgen nannte die SNB die internationale Entwicklung als Hauptgrund für die Aufgabe der Euro-Untergrenze. Die Geldpolitik drifte in den verschiedenen Währungsräumen stark auseinander.

In der Tat: Während die US-Zentralbank Fed 2015 damit beginnen dürfte, die Zinsen etwas anzuheben, ist die Europäische Zentralbank (EZB) aufgrund der wirtschaftlichen Lage im Euroraum gezwungen, die Geldpolitik je länger je expansiver zu gestalten, etwa auch durch den Ankauf von Anleihen.

Diesen kann die EZB nun ungehindert angehen, nachdem der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) diese Woche befand, das umstrittene Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen schwächelnder Euroländer verstosse nicht gegen EU-Recht. Die EZB muss auch keine Obergrenze für die Anleihenkäufe nennen. Das Gutachten des Generalanwalts ist für die Richter am EuGH zwar nicht bindend. In den meisten Fällen jedoch folgt das Gericht der Argumentation. An solche Anleihenankäufe wollte sich die SNB wohl aber nicht gebunden fühlen, wie Analytiker äusserten.

Mit der Aufhebung des Mindestkurses erleidet die SNB grosse Bewertungsverluste. Laut Jordan macht es aber keinen Sinn, eine aus ökonomischen Gründen nicht sinnvolle Politik weiterzuführen. Die SNB könne das internationale Umfeld nicht beeinflussen, weshalb sie einen Ausstieg als besser erachte.

Kam der Ausstieg unerwartet?

Für manche Marktbeobachter kam der Ausstieg unerwartet. So äusserte UBS-Chefökonom Daniel Kalt gegenüber Medien, dass Europa die Hausaufgaben aus der Schuldenkrise nicht gemacht habe. Insofern hätte die SNB die Mindestkurspolitik noch länger verfolgen und ihre Bilanz dadurch indes weiter aufblähen müssen.

Andere Marktbeobachter äusserten, dass die SNB die Euro-Untergrenze in den letzten Monaten offenbar nur noch mittels beachtlicher Interventionen habe halten können. Angesichts der anstehenden Wahlen in Griechenland wäre es für die SNB wohl noch schwieriger geworden, den Mindestkurs aufrecht zu halten. Sowohl die überraschende Einführung negativer Zinsen Mitte Dezember als auch Äusserungen von Marktteilnehmern hätten aber auf eine Änderung der SNB-Geldpolitik hingedeutet.

Mit dem Ausstieg zuzuwarten, war für die SNB laut Jordan keine Option. In sechs oder zwölf Monaten könne die Rücknahme der Massnahme in einem deutlich schlechteren Umfeld stattfinden, wie er äusserte. Dabei habe der Ausstieg genauso überraschend erfolgen müssen wie der Einstieg, weil die Märkte zu starken Übertreibungen neigten.

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