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«In Europa ist kein Ende des Tunnels in Sicht»

Dienstag, 08.05.2012

Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich steht die Eurozone vor einer Zerreissprobe. Sowohl den Volkswirtschaften als auch dem Bankensystem innerhalb der Eurozone droht die Spaltung. Auch der Euro dürfte davon tangiert werden.

Die Länder der Eurozone sollten sparen, denn sie sind hoch verschuldet und die Verschuldung wächst weiter. Doch Sparmassnahmen gehen zulasten von Wirtschaftswachstum. Deshalb soll grundsätzlich zwar gespart, gleichzeitig aber auch Anreiz zu Wachstum gegeben werden. Wachstum muss mittels Investitionen aber finanziert werden und Fremdkapital ist derzeit schwer zu bekommen.

Peripherieländer der Eurozone sind wirtschaftlich erstarrt

Einen solchen „Credit Crunch“ bekommen insbesondere Finanzinstitute in den Peripherieländern der Eurozone zu spüren. Dazu zählen etwa Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, kurz PIIGS genannt. Die Investoren haben kaum Vertrauen in die Bonität dieser Länder bzw. in ihre Möglichkeiten, aufgenommene Gelder auch wieder zurückzubezahlen. Banken in den Peripherieländern können sich daher kaum mehr Geld am freien Kapitalmarkt beschaffen, und wenn, dann nur zu horrend hohen Zinsen bzw. mit einem Risikoaufschlag. Was diese Banken von der Europäischen Investitionsbank (EIB) an Zuwendungen erhalten, wird damit beinahe aufgebraucht. Die Banken der PIIGS-Staaten sind also auf eine Finanzierung via Zentralbanken angewiesen. Wirtschaftswachstum können sie kaum mehr finanzieren.

Kernländer wachsen weiter

Anders in den zentralen und nördlichen Staaten der Eurozone. Zwar müssen auch sie sparen. Aufgrund einer besseren Bonität erhalten aber sowohl ihre Finanzinstitute als auch die Staaten selbst nach wie vor Kredit. Die monetären Bestimmungen sind sehr viel lockerer und die Zinsen tief. Es ist ihnen möglich, sich weiter zu verschulden, womit sie Wachstum finanzieren können.

Peripherieländer sind nicht mehr konkurrenzfähig

Die volkswirtschaftlich so unterschiedlich ausgerichteten Länder müssten ihre Währungen nun dazu einsetzen können, die Unterschiede innerhalb der Eurozone zu glätten. Dies könnte gelingen, indem sie ihre Währungen abwerten und dadurch mit ihren Produkten auf den Weltmärkten wieder konkurrenzfähiger würden. Stattdessen befinden sie sich in einem Korsett durch den Euro, dessen Aussenwert gemessen an ihrer Produktivität viel zu hoch ist. Während die Lohnstückkosten in vielen Kernländern der Eurozone in den letzten Jahren nämlich stark gefallen sind, sind sie in den Peripherieländern stark gestiegen.

Belastungsprobe für die Eurozone steigt

Droht die Eurozone in Anbetracht dieser Umstände nicht auseinander zu brechen? «Das scheint uns aus politischen Gründen eher unwahrscheinlich», erklärt Dr. Oliver Adler, Head of Global Economics & Real Estate Research der Credit Suisse, in einem Pressegespräch. «Die Wahrscheinlichkeit eines Ausschärens Griechenlands ist aber extrem hoch», ergänzt er. Offenbar beziffert Citibank diese Wahrscheinlichkeit inzwischen auf 50% bis 75%. Einen weiteren Schuldenschnitt finanziert durch den Privatsektor hält er ebenfalls für unwahrscheinlich.

Eurokrise schwächt Wachstum weltweit

Was bedeutet das nun für die Wirtschaft? «Die Rezessionen in Südeuropa verschärfen sich aufgrund der Kombination restriktiver Fiskalpolitik und viel zu hoher Zinsen. Ein Zusammenbruch des Finanzsystems wird aber durch die Europäische Zentralbank verhindert», so Oliver Adler weiter. Die Auswirkungen auf Deutschland und die Schweiz erachtet er als limitiert: Lockere monetäre und Kreditbedingungen würden die Handelseffekte zu einem grossen Teil kompensieren. Die Eurokrise könne aber eine erneute Globalisierung erfahren und das Wachstum in den USA und den Schwellenländern sich abschwächen.

EZB verhindert Zusammenbruch des Finanzsystems

Die wirtschaftliche Unsicherheit hat dazu geführt, dass Spareinlagen im grossen Stil von den Banken in den Peripherieländern der Eurozone abgezogen und bei Banken der Kernländer deponiert wurden, wie CS-Bankenspezialistin Christine Schmid erklärt. «Dadurch drohte eine Liquiditätskrise, die mittels Krediten der Europäischen Zentralbank zu günstigen Konditionen abgewendet wurde». Diese Kredite heissen etwa «Target II», «SMP» und «LTRO» und dienen dazu, den Banken dieser Länder Kapital mit beispielsweise einer Laufzeit von 3 Jahren zu 1% Zins zur Verfügung zu stellen.

Es droht die Zweiteilung des EU Bankensystems

Liquiditätsrisiken sind so kurzfristig zwar aufgehoben und die Anleger beruhigt worden, was sich in den Aktienkursen niederschlägt. «Damit werden aber auch neue Problembereiche geschaffen», führt Christine Schmid weiter aus. So würden bestehende Obligationen und Aktien eine verstärkte Nachrangigkeit erfahren und sich die Anleger aus kritischen Ländern weiter zurückziehen, was ein erneutes Eingreifen der EZB erfordere. Das EU Bankensystem drohe damit zweigeteilt zu werden.

Voraussetzungen zur Stabilisierung sind noch nicht gegeben

«In Europa ist kein Ende des Tunnels in Sicht», fasst Christine Schmid zusammen. Die Voraussetzungen zur Stabilisierung der EU Situation und zu einem besseren Ausblick für EU Banken seien noch nicht gegeben. Dazu würde es mehr EU Einigkeit hin zur Fiskalkoordination, Strukturanpassungen im Bankensystem sowie Wachstumsanreize zusätzlich zu Sparmassnahmen benötigen. Gleichzeitig würden Zeichen hin zu weniger EU die Märkte und Bankaktien im Speziellen aber verunsichern.

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