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«Für das Funktionieren der 2. Säule braucht es intakte Solidaritäten zwischen den aktiven Versicherten und allen Rentnergenerationen»

Mittwoch, 09.05.2018

Für Schweizer Vorsorgeeinrichtungen war 2017 ein gutes Anlagejahr. Die technischen Zinssätze sinken zudem weiter. Die Finanzierungslücke in der 2. Säule besteht jedoch weiterhin. Das führt zu einer hohen Umverteilung und gefährdet die Solidarität.

Aufgrund des tiefen Zinsniveaus waren Schweizer Vorsorgeeinrichtungen 2017 vergleichbaren Risiken wie in den beiden Vorjahren ausgesetzt. Dank einer ausserordentlich hohen Aktienperformance konnte die durchschnittliche Netto-Vermögensrendite aber deutlich erhöht werden (6.9% gegenüber 3.6% im Vorjahr). So verbesserten sich die ausgewiesenen Deckungsgrade im Durchschnitt auf 110.8% (gegenüber 107.1% im Vorjahr).

Umverteilung zu Rentenbezügern beträgt rund 7 Milliarden Franken pro Jahr

Die durchschnittlichen künftigen Zinsversprechen bleiben mit 2.75% indes deutlich über dem durchschnittlichen technischen Zinssatz von 2.22%. Entsprechend hoch fällt die ungewollte Umverteilung von aktiven Versicherten und Arbeitgebern zu Rentenbezügern aus. Diese betrug in den letzten Jahren knapp 1% der gesamten Vorsorgekapitalien bzw. rund 7 Milliarden Franken pro Jahr, wie die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) im Rahmen der Vorstellung ihres sechsten Tätigkeitsberichtes mitteilt.

Netto‐Vermögensrenditen und Deckungsgrade verbesserten sich

Zentrales Thema im Bericht ist das für die nominalen Zinsversprechen zu tiefe Zinsniveau. Ende 2017 lag dieses gegenüber dem Vorjahr praktisch unverändert im leicht negativen Bereich (Jahresrendite der 10-jährige Bundesobligationen liegt bei -0.1%); die Aktienrenditen in den meisten Ländern entwickelten sich gleichzeitig, vor allem gegen Jahresende, ausserordentlich positiv. 

Die durchschnittliche erwirtschaftete Netto‐Vermögensrendite der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie betrug 2017 6.9% (gegenüber 3.6% im Vorjahr) und bei den öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie 8.2% (Vorjahr: 3.9%). Mit den weit über den Erwartungen liegenden Renditen verbesserten sich die individuell ausgewiesenen Deckungsgrade der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie im Durchschnitt von 107.1% Ende Vorjahr auf 110.8% und bei den öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie von 79.7% Ende Vorjahr auf 82.6%.

Absicherung gegen Aktienmarkt- und andere Kapitalmarktverwerfungen ist ungenügend

Per Ende 2017 wiesen 99% (Vorjahr: 88%) der privat‐ und der öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie einen Deckungsgrad von mindestens 100% aus. Der entsprechende Anteil bei den öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie betrug per Ende 2017 15% (Vorjahr: 4%). Die bestehenden Wertschwankungsreserven bei den Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie sind allerdings immer noch nur zu 60% (Vorjahr: 39%) geäufnet. Damit sind viele Vorsorgeeinrichtungen nur ungenügend gegen zukünftige Aktienmarkt- und andere Kapitalmarktverwerfungen abgesichert.

Es braucht weitere Anpassungen zur Sicherung laufender und künftiger Renten

Auf der Verpflichtungsseite sind über die vergangenen Jahre grosse Anpassungen vor allem bezüglich des technischen Zinssatzes vorgenommen worden. Damit ist das System der beruflichen Vorsorge sicherer geworden. Auch im Jahr 2017 haben viele Vorsorgeeinrichtungen die technischen Zinssätze und in vergleichbarem Ausmass die zukünftigen Zinsversprechen gesenkt. Allerdings bleiben die durchschnittlichen künftigen Zinsversprechen mit 2.75% bei den Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie bzw. 3.12% bei den Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie weiterhin substantiell höher als die durchschnittlich verwendeten technischen Zinssätze von 2.22% bzw. 2.61%.

Bleibt das Marktzinsniveau auf dem aktuellen tiefen Stand, so werden einige Vorsorgeeinrichtungen nochmals Anpassungen zur Sicherung der laufenden Renten und der zukünftigen Rentenversprechen vornehmen müssen, warnt die Oberaufsichtskommission.

Aktive Versicherte und Arbeitgeber müssen Anlagerisiken auf den Rentenkapitalien ausgleichen

Leidtragende der anhaltenden Finanzierungslücke sind die aktiven Versicherten und die Arbeitgeber, wie die Oberaufsichtskommission festhält. Die gesetzliche Garantie laufender Renten führe systematisch dazu, dass die Vorsorgeeinrichtungen gegenüber den Rentenbezügern implizit unveränderliche Zinsversprechen abgeben müssten.

Für die Umsetzung dieser Garantie sei es notwendig, dass die aktiven Versicherten und die Arbeitgeber bereit seien, die Anlagerisiken auf den Rentenkapitalien auszugleichen, empfiehlt die OAK BV. Sie würden somit das Risiko tragen, dass der Gesetzgeber bezüglich der Einschätzung der Langlebigkeit zu pessimistisch und bezüglich der Prognose der Anlagerenditen zu optimistisch gewesen sei.

Umverteilung strapaziert das Solidaritätsprinzip der beruflichen Vorsorge

Dies führe zu ungewollten Umverteilungen, welche einseitig von den aktiven Versicherten und den Arbeitgebern getragen werden müssten und das Solidaritätsprinzip der beruflichen Vorsorge strapazierten.

Mit einer jährlichen Umverteilung von knapp 1% der gesamten Vorsorgekapitalien der Vorsorgeeinrichtungen von den aktiven Versicherten zu den Rentnern hat die jährliche Umverteilung mittlerweile ein kritisches Niveau erreicht. Diese Umverteilung fällt insbesondere in jenen Vorsorgeeinrichtungen am grössten aus, in denen der Versicherungsschutz der Versicherten am tiefsten angelegt ist, d.h. bei reinen Obligatoriums‐Vorsorgeeinrichtungen.

Es braucht ein korrektes Niveau oder eine Zusatzfinanzierung für die zu hohen Zinsversprechen

Vorsorgeeinrichtungen, deren umhüllender Teil den obligatorischen Teil nur geringfügig übersteige, kämen aufgrund des gesetzlichen BVG‐Umwandlungssatzes von aktuell 6.8% bei der Senkung der Umwandlungssätze an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, mahnt die OAK BV. Nachdem die Rentenreform AV 2020 verworfen worden sei, bleibe die Politik deshalb in der Pflicht, entweder für ein korrektes Niveau bei den Zinsversprechen zu sorgen oder eine transparente Zusatzfinanzierung der im heutigen Marktumfeld zu hohen Zinsversprechen zu ermöglichen.

Vorsorgeeinrichtungen müssen Verteilungsregeln definieren

Gleichzeitig müssten sich die Vorsorgeeinrichtungen rechtzeitig mit der Frage auseinandersetzen, wie allfällige künftige Überschüsse zwischen den aktiven Versicherten und den Rentnern sowie unter den verschiedenen Rentnergenerationen verteilt werden sollten. Zu definieren seien darum verbindliche Verteilungsregeln, mit denen insbesondere die aufgrund zu hoher Umwandlungssätze entstandenen Umverteilungen über die Zeit wieder ausgeglichen werden könnten.

Viele Neurentner, die in der Vergangenheit zur Nachfinanzierung der Renten früherer Rentnergenerationen beigetragen hätten, seien nun ihrerseits mit teilweise markant tieferen Umwandlungssätzen konfrontiert. Sollten in der Zukunft Überschüsse auf dem Vorsorgekapital der Rentner erzielt werden, seien darum in erster Priorität jene Renten zu erhöhen, die auf solch tieferen Umwandlungssätzen basierten. Für das Funktionieren der zweiten Säule brauche es intakte Solidaritäten zwischen den aktiven Versicherten und allen Rentnergenerationen, fordert die OAK BV.

Über den Tätigkeitsbericht der OAK BV

Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) hat im Rahmen der Vorstellung ihres sechsten Tätigkeitsberichtes wiederum die aktuellen Zahlen zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen präsentiert. Die für die ganze Schweiz einheitliche und risikoorientierte Früherhebung ermöglicht eine aktuelle Gesamtsicht über die finanzielle Lage des Systems der beruflichen Vorsorge mit Stichtag 31. Dezember 2017. Die Erhebung wird in enger Koordination mit den regionalen und kantonalen BVG-Aufsichtsbehörden durchgeführt. Bis Mitte April 2018 haben 95% (gegenüber 93% im Vorjahr) der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen mit einer Bilanzsumme von 988 Milliarden Franken (Vorjahr: 914 Milliarden Franken) den Fragebogen der OAK BV ausgefüllt.

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