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«Eine nachhaltige Schuldensituation ist noch in weiter Ferne»

Montag, 08.10.2012

Die Zahl der Staaten, deren Kreditwürdigkeit von offiziellen Rating-Agenturen mit der Bestnote AAA klassiert werden, wird weiter sinken. Experten glauben auch zu wissen, dass Deutschland sein Triple-A-Rating bald verlieren wird.

Deutschland wird das höchste Rating für seine Kreditwürdigkeit verlieren. Davon geht die auf Kreditanalysen spezialisierte Independent Credit View (I-CV) in ihrer neuesten Länderstudie 2012 aus. Denn die Wirtschaftsnation müsse für das Engagement in der Euro-Krise direkt und indirekt Verantwortung übernehmen. Als «Hauptsponsor des Euro-Experiments» trage sie bei den verschiedenen Stützungsmechanismen die Hauptlast. Darüber hinaus würden die demografischen Veränderungen künftig auf den Staatshaushalt drücken, schreibt I-CV in einer Mitteilung.

Die Anzahl der Staaten mit der Bestnote AAA werde generell weiter abnehmen, da Schulden, Reformstaus und ausstehende Strukturbereinigungen auf die Bonität der Staaten drückten. Die Schweizer Research Boutique erwartet in den kommenden drei bis fünf Jahren daher weitere Rückstufungen der von den offiziellen Agenturen mit AAA eingestuften Nationen.

Eine positive Entwicklung stellt I-CV dagegen bei den Schwellenländern fest. Die Schuldenlast der aufstrebenden Märkte verringere sich kontinuierlich. Diese Staaten müssten jedoch differenziert beurteilt werden. Viele von ihnen wiesen trotz beeindruckender fiskalischer Überschüsse noch immer massive institutionelle Defizite auf.

Widerstandsfähigkeit von Staaten wurde überschätzt

Für Ihre Analysen wirft I-CV einen Blick in die Vergangenheit: Noch 2007 hätten die offiziellen Rating-Agenturen (Standard & Poor's, Fitch und Moody's) Irland und Spanien mit der Bestnote AAA ausgezeichnet. Die schnelle und massive Rückstufung auf ein BBB-Rating zeige, dass die Widerstandsfähigkeit dieser Staaten womöglich überschätzt worden sei. Dies habe viele Investoren auf dem falschen Fuss erwischt.

Aktuell würden die offiziellen Rating-Agenturen noch 12 bis 15 von den 47 untersuchten Staaten die Bestnote für ihre Kreditwürdigkeit verleihen. I-CV dagegen erteilt nur noch vier Staaten (Singapur, Schweden, Norwegen und Schweiz) eine AAA-Bonitätsbewertung. Gerade bei den Industrienationen würden sich der Reformstau, die ungelöste Bankenkrise, das rezessionäre Makroumfeld sowie die schleichende Verallgemeinerung der Schuldenlast in der Währungsunion negativ auswirken.

Im Finanzsystem sind Strukturbereinigungen angesagt

Nach wie vor ausstehend ist gemäss I-CV eine Strukturbereinigung im Finanzsystem. In der Krise seien Bankinstitute ohne Existenzberechtigung mitgerettet worden. Die Bankendichte sei dadurch noch zu hoch. Der Blick auf die Bilanzsummen zeige zudem, dass anstelle eines Deleveraging die Bilanzaktiven der analysierten Banken in den letzten fünf Jahren um weitere 27% zugenommen hätten. Der Konsolidierungsdruck nehme somit weiter zu.

Banken untergraben Senkung der Refinanzierungskosten der Länder

Mit schlechten Aktiven wirtschafte auch die Europäische Zentralbank (EZB). Durch ihr Long Term Refinancing Operation-, kurz LTRO-Programm, würden Finanzinstitute günstig Geld erhalten. Damit würden die Banken Staatspapiere angeschlagener Länder kaufen, die eine hohe Rendite abwerfen. Anstatt die Gewinne in die Stärkung des Eigenkapitals zu investieren, würden viele Banken das Geld noch immer für Boni und Dividendenausschüttungen verwenden. Damit würden die Banken den positiven Effekt der künstlichen Nachfrage nach Staatsanleihen und die damit verbundene Senkung der Refinanzierungskosten untergraben, kritisiert I-CV.

Zentralbanken könnten zu Bad Banks werden

Diese risikoreichen Anleihen dienten zudem als Sicherheiten bei Repo-Geschäften und seien daher zunehmend in den Aktiven der Zentralbanken wiederzufinden. Durch die abnehmende Qualität der Aktiven steige die Gefahr, dass Zentralbanken zu Bad Banks würden, warnt I-CV.

Tiefe Zinsen forcieren Enteignung von Sparern und Rentnern

Die künstlich tiefgehaltenen Zinsen würden ausserdem eine Enteignung von Sparern und Rentnern forcieren. Die Länderstudie schliesst nicht aus, dass diese geldpolitischen Stabilisierungsmassnahmen zu sozio-ökonomischen Destabilisierungen führen. Wenn Staaten ihre Probleme auf dem Rücken künftiger Generationen austragen würden, berge das grosses Konfliktpotenzial.

Die Solidarität zwischen den Euro-Staaten sei auf die Probe gestellt. Darüber hinaus scheint den Analysten von I-CV die von der Europäischen Kommission propagierte Fiskalunion mit einer umfassenden politischen und fiskalischen Souveränität politisch kaum durchsetzbar.

Überalterung fordert Renten-Reformen

Die Altersstruktur der Bevölkerung, deren Integration am Arbeitsmarkt sowie die Renten-Finanzierung seien weitere ungelöste Probleme und Themen für die Politik. Innerhalb der Europäischen Union bestünden dazu grosse Unterschiede. Diese führten zu Spannungen.

In den nördlichen Staaten etwa gingen Erwerbstätige länger einer Beschäftigung nach als im Süden. Im Osten (Polen, Ungarn und Slowenien) wiederum würden die Kultur und staatliche Rentensysteme Frühpensionierungen fördern. Aufgrund der zunehmenden Überalterung gelangten die Rentensysteme weltweit an ihre Grenzen und würden für Staaten zunehmend zur Belastung, da nicht mehr finanzierbar. Es brauche dringend Rentenreformen und einen Ausgleich in Europa, propagiert I-CV.

Verschuldung soll in den nächsten 3 Jahren Höchststand erreichen

Eine grosse Zahl der Länder werde ihren Schulden-Höchststand voraussichtlich in den nächsten drei Jahren erreichen, prognostiziert I-CV. Das schwache Wirtschaftswachstum ziehe bis dahin tiefere Steuereinnahmen und höhere Sozialleistungen durch Arbeitslosigkeit nach sich, was den Schuldenanstieg weiter anheize.

Eine Rückkehr zu Schulden-Ratios von 60% bleibe für die meisten Staaten ausser Reichweite, schätzt I-CV. Die Vereinigten Staaten etwa müssten für dieses Ziel zwischen 2016 und 2026 einen Primärüberschuss von 4,2% erzielen. Einen Überschuss habe die Grossmacht aber zum letzten Mal 1991 ausweisen können.

Nachhaltige Schuldensituation ist noch in weiter Ferne

Damit sich die Schuldensituation nachhaltig verbessere, brauche es Staatschefs mit Krisenmanager-Fähigkeiten. I-CV ist überzeugt, dass die Rückkehr zum Wachstum nur mit einem gesunden Bankensystem möglich sei. Um das Vertrauen ins Bankensystem wiederherzustellen, rät I-CV zu realistischen Stresstests, Strukturreformen und zur Rückkehr der Banken in die Rolle als Intermediär.

Gerade für Industrienationen sei eine nachhaltige Schuldensituation aber noch in weiter Ferne, wie I-CV glaubt. Denn Staaten, die auf hohe Primärüberschüsse angewiesen wären, sich jedoch im starren Gefüge einer dysfunktionalen Währungsunion befänden, hätten es in einem trüben makroökonomischen Umfeld besonders schwer.

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