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«Ein Grossteil der Gesetze und Verordnungen werden zugunsten der Versicherer ausgelegt»

Freitag, 11.03.2011

Die Verordnungen zur Umsetzung der Strukturreform in der beruflichen Vorsorge stossen vor allem bei Vorsorgestiftungen auf viel Kritik. Im Gespräch mit vorsorgeexperten.ch erklärt Herbert Brändli vom Beratungsunternehmen B+B Vorsorge AG, wie sich der Verordnungsgeber über rechtsstaatliche Grundsätze hinwegsetze, Stiftungsräte entmündige und die Versicherungsbranche begünstige.

Herr Brändli, wie Sie kürzlich erklärt haben, zerstöre der Staat mit den neuen Verordnungen gezielt die tragenden Strukturen der 2. Säule. Können Sie das präzisieren?

Dieser Prozess hat bereits im Jahr 2002 begonnen. Die damalige Wirtschaftskrise hat zahlreiche Vorsorgeeinrichtungen in Unterdeckung gebracht. Zu ihrer Sanierung wurden Gesetze geschaffen, die dem Vorsorgegedanken im Kapitaldeckungsverfahren meines Erachtens wiedersprechen. Sie sind für die Aufgabe und Arbeit von Vorsorgeeinrichtungen destruktiv, um nicht zu sagen ruinös.

Inwiefern widersprechen diese Gesetze dem Vorsorgegedanken?

Zunächst ist dies die strikte Orientierung an einzelnen, fragwürdigen Kennzahlen, etwa dem Deckungsgrad. Der Deckungsgrad ist eine eher ungeeignete Kennzahl zur Führung einer Pensionskasse. Sowohl Zähler als auch Nenner enthalten spekulative Elemente und können entsprechend frei gestaltet werden. Das Vermögen einer Pensionskasse muss beispielsweise zum Marktwert bewertet werden. Die Zahlen die man dafür einsetzt, etwa für Immobilienanlagen, beruhen jedoch oft auf Annahmen. Der wahre Wert der Aktiven zeigt sich erst beim Verkauf und nicht zum Jahresende. Auch die Verpflichtungen auf der anderen Seite werden anhand eines künstlich geschaffenen Multiplikators zu einem bestimmten Zeitpunkt bewertet. Leistungen, die vielleicht erst in 20, 30 oder 50 Jahren zur Fälligkeit gelangen, werden mit dem technischen Zins abdiskontiert. Der dafür verwendete Zinssatz wird vom Stiftungsrat festgelegt. Da macht es natürlich einen riesigen Unterschied, ob ein oder zwei Prozentpunkte mehr oder weniger verwendet werden. Ist der so berechnete Deckungsgrad kleiner als 100%, schreibt das Gesetz Sanierungsmassnahmen vor. Und es wird ein Zeitrahmen vorgegeben, innert dem wieder Volldeckung erreicht sein muss. Die Planung der Massnahmen erfolgt aufgrund einer willkürlichen Stichtagssituation. Bis alle Zahlen berechnet und ausgewiesen sind, ist die Rechnung oftmals schon überholt, weil der Markt eben nicht so spielt, wie man prognostiziert hat. Hinzu kommt, dass ein separierter Deckungsgrad über die Leistungsfähigkeit eines Vorsorgewerks nicht sehr viel aussagt. Interessant ist nur seine langjährige Entwicklung, woraus sich Schlüsse über das strukturelle Verhältnis von Finanzierung und Leistungen ziehen lassen. Basierend auf diesem Vergleich können allenfalls sinnvolle Korrekturmassnahmen eingeleitet werden.

Nun wird der Deckungsgrad als alleinige Messgrösse heute ja bereits stark hinterfragt.

Das stimmt, er wird von Fachleuten natürlich hinterfragt, doch hält das den Regulator nicht davon ab, Vorsorgeeinrichtungen nur nach dieser Zahl zu bewerten. Die Pensionskassen sind dem Bundesrat, der entsprechende Verordnungen erlässt, bzw. dem Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, das dahinter steht, ohnmächtig ausgeliefert. Schliesslich widersprechen viele Vorlagen die der Bundesrat in die Vernehmlassungen geschickt hat offensichtlich nicht nur Sinn und Zweck der Vorsorge, sondern auch dem Gesetz.

Was wäre ein Beispiel für eine Vorlage, die dem Gesetz widerspricht?

Der Bundesrat erlässt generell Verordnungen, für die gar keine Delegationsbefugnis besteht. Das Gesetz überlässt es beispielsweise dem obersten Organ, wie Altersguthaben zu verzinsen sind, der Bundesrat darf nur Minimalzinsen im obligatorischen Bereich vorgeben. Er beträgt für das Jahr 2010 2%. Nun hat eine Stiftung kürzlich beschlossen, die gesamten Altersguthaben mit 2,5% zu verzinsen. Darauf ist das BSV der eigenen Verordnung vorauseilend eingeschritten und hat der Stiftung verboten, diese Zinsgutschriften zu gewähren. Dazu muss man wissen, dass die Stiftung einen technischen Zinssatz von 3% anwendet und einen Deckungsgrad von über 113% aufweist. Sie hätte sich eine Verzinsung zu 2,5% also sehr gut leisten können.

Ein ganz anderes Beispiel, wie der Regulator eigenwillig Gesetze in seinem Sinne interpretiert, ist die so genannte Legal Quote oder die Mindestbeteiligung von Versicherungsnehmern an Überschüssen der Versicherungsgesellschaften. Letztere entstehen aus Anlagen, Risiko und Verwaltung, welche mit Prämien der Arbeitnehmenden und der Arbeitgeber vorfinanziert werden. Laut Gesetz müssen diese zu 90% an die Versicherten zurückgeführt werden. Der Bundesrat hat daraus aber eine Verordnung gemacht, die den Versicherungen 10% Gewinne am Umsatz garantieren. Ich bin wirklich der Meinung, dass viele Gesetze und Verordnungen in der beruflichen Vorsorge zugunsten der Versicherer gemacht werden, und nicht zugunsten der Versicherten.

Wie Sie sagen, werden mit der Strukturreform auch organisch gewachsene und teilweise ähnlich gelagerte Interessengemeinschaften zerschlagen. Unter dem Begriff Corporate Governance würden Interessenkonflikte konstruiert, statt gemeinsame Interessen zu bündeln, was die Grundlage von Erfolgsmodellen sei. Was genau meinen Sie damit?

Nehmen wir das Beispiel des Lebensversicherers PK Rück. Unter dem Lead der Sammelstiftung Profond haben vor ein paar Jahren verschiedene Sammelstiftungen diese Gesellschaft gegründet. Als Selbsthilfeorganisation bildet sie einen Gegenpol zu den Lebensversicherern, die beträchtliche Teile der Vorsorgevermögen von KMU für ihre eigenen Manager und Aktionäre entfremden. Auf ihr Betreiben hin haben damals Parlamentarier versucht, die Pensionskassen dem Versicherungsaufsichtsgesetz VAG zu unterstellen. Laut Gründungsurkunde dürfen in der PK Rück nur Stiftungen als Aktionäre fungieren. Damit wird sichergestellt, dass sämtliche Gewinne zu den Versicherten zurückfliessen. Der Verwaltungsrat von PK Rück setzt sich naturgemäss aus Vertretern der Sammelstiftungen zusammen, die die PK Rück gegründet haben. Das wäre gemäss den neuen Verordnungen zur Strukturreform nicht mehr möglich, da diesen Leuten à priori Interessenkonflikte unterstellt werden. In meinen Augen geht es hier aber nicht um Interessenkonflikte, sondern um Interessengemeinschaften. Die PK Rück wirkt im Sinne der Versicherten sehr erfolgreich und führt regelmässig ansprechende Gewinne an sie zurück. Das Erfolgsmodell soll zerschlagen werden, wenn es nach dem BSV geht.

Sie sagen auch, der Staat wolle die vollständige Kontrolle über die Finanzierung der Pensionskassen, ihre Führung und Verwaltung sowie die Verteilung der Vorsorgevermögen. Welche Bestimmungen sprechen Sie hier an?

Das sind zugegebenermassen gewisse Unterstellungen aus der Erkenntnis heraus, dass der Staat von Pensionskassen sehr billiges Geld erhält. Denken wir nur an die Staatsgarantie bei öffentlich-rechtlichen Pensionskassen. Statt dass der Staat diese ausfinanziert, gibt er einfach eine Garantie ab. Diese kann er intern verzinsen wie immer er will. Mir sind Fälle bekannt, wo gar keine Rückstellungen gebildet und Leistungen direkt über die laufende Rechnung abgewickelt wurden. Daneben werden Vorsorgeeinrichtungen über die Sanierungsvorschriften in Verbindung mit den Anlagevorschriften praktisch zur Zeichnung von ertragsarmen Staatsanleihen genötigt.

Wie erfolgt diese, wie Sie sagen Nötigung?

Ich spreche hier vom ökonomischen Deckungsgrad, der von gewissen Kreisen portiert wird, und dessen Berechnung auf sogenannt sichere Erträge abstellt. Den Stiftungen wird so vorgegeben, risikolose Anlagen zu tätigen, d.h. Anlagen mit wenig Wertschwankungen. Damit sind Staatsanleihen gemeint. Der Regulator zwingt also Pensionskassen via Sanierungsvorschriften und Deckungsgrad, vermehrt in Staatsanleihen zu investieren und holt sich so von den Arbeitnehmern billiges Geld. Die Annahme, dass Staatsanleihen für Vorsorgeeinrichtungen kein Risiko bedeuten, ist zudem sehr fraglich.

Wie müssen denn Pensionskassen ihre Leistungen finanzieren?

Das BVG hat mit Alters-, Zinsgutschriften und Umwandlungssatz Minimalleistungen definiert und ihre Finanzierung den Kassen überlassen. Mittlerweile wurde aus diesem minimal vorgeschriebenen Leistungspaket ein Beitragsprimat verordnet, in dem Altersgutschriften als Sparbeiträge vorgegeben und ihre Verzinsung sowie die Lebenserwartung für alle Versicherten gleich vorgeschrieben werden. Die Pensionskassen sollen allen entsprechende Laufzeiten garantieren. Meines Erachtens gibt es aber keine Gründe, weshalb man Garantien auf Einzelpersonen ausrichten sollte. Pensionskassen sind ja gerade Instrumente der Solidarität, und zwar über Jahrgänge und Generationen hinweg. Für mich steht diese Garantie im Vordergrund. Sie lässt Schwankungen der Vermögenswerte und entsprechend ertragsstarke Investitionen zu. Es macht in der 2. Säule keinen Sinn, sichere Erträge von lediglich 1% oder 2% zu verlangen.

Wie sollen sich Sammelstiftungen künftig positionieren, vorausgesetzt, die Verordnungen zur Strukturreform werden umgesetzt?

Sie müssen ihre Energie auf die Suche nach Möglichkeiten konzentrieren, wie Ertragskraft und Führung künftig trotz dieser Verordnungen sichergestellt werden können. Der Bundesrat will den Stiftungsräten einerseits mehr Verantwortung übertragen und reguliert gleichzeitig seine Kompetenzen weg. Andererseits sagt er, dass bei der Bestellung dieser Milizorgane keinerlei Qualifikationen verlangt werden dürfen. Die Führung von Milliardenunternehmen soll also ab dem 1.1.2012 mit reinen Laien-Gremien erfolgen, die zudem nach Stellenwechseln zufällig durcheinander gewirbelt werden. So wie es auf dem Papier steht, müssten bewährte Führungskräfte ohne Übergangsfrist sofort abtreten und zahlreiche Verträge, vor allem im Anlagebereich, wären ab diesem Datum nichtig. Es entstünde ein gewaltiges Führungsvakuum und das bedeutet natürlich, dass die Beratung intensiviert werden muss. Aufsicht, Berater und Zulieferer erhalten damit künftig noch mehr Macht. Damit sind auch sehr viel höhere Kosten verbunden, die voll zu Lasten der Versicherten und ihrer Leistungen gehen.

Heisst das, dass die Aufsicht tatsächlich mehr Gewicht erhält?

Künftig trägt ja nicht mehr der Staat direkt die Aufsicht – und damit auch die entsprechende Haftung – sondern regionale Anstalten, die über ein kleines Anstaltskapital von vielleicht ein bis zwei Millionen Franken verfügen. Der Staat minimiert so seine eigene Haftungssubstanz. Er wird alles bestimmen, haftet aber nicht mehr für seine Anordnungen. In diesem Zusammenhang sind auch Fälle, die diese Entwicklung erst ins Rollen gebracht haben, zu betrachten. Der Staat ist diesbezüglich noch nicht rein gewaschen und aus der Pflicht, nur weil sich die Rechtsfälle über Jahre hinziehen. Ich denke dabei an den Zusammenbruch der Vorsorge- und -Anlagestiftungen Vera und Pevos im Jahr 2006. Weiterer Fälle mit unklarer Rolle des Staats sind Gemini, Swiss First und First Swiss und neulich die Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich, BVK. Sie sind ja gerade der Beweis, dass sich Führungsprobleme wegen sinnlosen Quotenregelungen, kriminellen Energien oder nachlässiger Kontrolle und Aufsicht kaum mit noch mehr Verordnungen lösen lassen.

Was glauben Sie denn, was die Motivation hinter diesen Bestrebungen ist?

Ich unterstelle dem BSV durchaus guten Willen, das Vertrauen in die 2. Säule anzuheben. Ich spreche den zuständigen Leuten aber die Kompetenz ab, zu erkennen, ob und wo Vertrauensverluste bestehen und was die tatsächlichen Auswirkungen der neuen Verordnungen sein werden. Zwar wurde eigens eine BVG-Kommission, bestehend aus Fachkräften und Vertretern der Sozialpartner, gebildet, die unter anderem Staat und BSV in Sachen berufliche Vorsorge beraten sollte. Die Einwände von Mitgliedern dieser Kommission gegen die geplanten Verordnungen wurden jedoch mit einer unglaublichen Arroganz einfach ignoriert und abgeschmettert.

Können Sie sich gegen die geplanten Bestimmungen zur Wehr setzen?

Gegen die Willkür von Staat und Behörden ist momentan offenbar kein Kraut gewachsen. Der Verordnungsgeber kann ohne Widerspruch über rechtsstaatliche Grundsätze hinweg und am Parlament vorbei Recht setzen. Verschiedene Bestimmungen der BVG-Reform sind offensichtlich nicht gesetzeskonform. Die Bundesversammlung sollte die Möglichkeit haben, gegen solche Verordnungen ein Veto einzulegen und den Bundesrat damit zwingen, sich an den eigenen Gesetzen zu orientieren.

Glauben Sie, dass diese Bestimmungen künftig umgangen werden?

Die meisten vorgelegten Bestimmungen sind weder Ziel führend noch reflektiert. Die Selbstregulierung der Vorsorgebranche greift vor allem im Umfeld der unabhängigen Sammelstiftungen. Probleme ergaben sich aber genau da, wo die Charta des Pensionskassenverbands ASIP mit ihren Regeln zu Loyalität und Integrität nicht wirklich verpflichtend war, etwa bei öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen und bei Versicherungssammelstiftungen. Genau dort sind auch die neuen Bestimmungen ohne Wirkung, weil diesen Vorsorgeeinrichtungen vom Parlament nach wie vor ihre eigenen Gesetze und Aufsichten zugestanden werden.

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