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«Die Versicherer hat man im Regen stehen lassen»

Dienstag, 28.03.2017

Helvetia-Chef Philipp Gmür kritisiert die vom Parlament beschlossene Rentenreform. Denn: Damit wäre es den Konzernen nicht mehr möglich, Verluste in einem Bereich der beruflichen Vorsorge mit Gewinnen in anderen Bereichen zu kompensieren.

Philipp Gmür, CEO des Helvetia Versicherungskonzerns, zeigt sich mit der vom Parlament beschlossenen Rentenreform „Altersvorsorge 2020“ unzufrieden, wie er in einem Interview mit der «Handelszeitung» vom 23. März 2017 äussert. So findet er es falsch, dass die Kürzungen in der zweiten Säule durch die Herabsetzung des Umwandlungssatzes nicht auch dort kompensiert werden, sondern über eine Erhöhung der AHV-Renten, also in der ersten Säule. Noch wichtiger für ihn als Versicherungsvertreter ist aber der Einbezug zweier Bestimmungen zur Trennung von Risiko- und Sparprozess: Heute können die Versicherer Löcher beim Alterskapital über (zu hohe) Risikoprämien stopfen. Künftig wäre dies nicht mehr möglich. Laut Gmür hat man die Versicherer somit im Regen stehen lassen.

Versicherer verlieren mit der Reform „Gestaltungsmöglichkeiten“

Gmür betont, dass die Risikoprämien nicht zu hoch seien. Würden sie aber gezwungen, diese Prozesse zu trennen, verlören sie Gestaltungsmöglichkeiten. Dies führe dazu, dass KMU vermutlich schlechtere Konditionen erhalten würden, warnt Gmür. Allerdings müssten die Versicherer die konkreten Auswirkungen erst noch analysieren.

Um beurteilen zu können, ob die Helvetia die Vorsorgereform unterstützen solle oder nicht, müssten sie erst eine Güterabwägung vornehmen, wie Gmür erläutert. Vorher könne er die Vorlage nicht unterstützen. Dennoch sei es wichtig, dass die Schweiz eine Rentenreform habe, die beim Volk auf Akzeptanz stosse. Die Zeit laufe gegen die Versicherer.

Senkung des Umwandlungssatzes löst nur einen Teil der Probleme

Die geplante Senkung des Umwandlungssatzes auf 6.0% löst laut Gmür nur einen Teil der Probleme. Dabei sei diese Senkung ein politischer Kompromiss. Letztlich müsse ein mathematisch korrekter Umwandlungssatz zwischen 5.0% und 5.5% liegen, so Gmür.

Pro Neurentner fehlen immer noch 24‘000 Franken

Pro Neurentner fehlten heute im Schnitt 40‘000 Franken. Mit dem neuen Umwandlungssatz seien es immer noch 24‘000 Franken. Dies sei also erst der halbe Weg, mahnt Gmür.

Laufende Renten werden durch Erwerbstätige subventioniert

Dabei gibt Gmür offen zu, dass die laufenden Renten durch die Erwerbstätigen subventioniert würden. Ihre Altersguthaben könnten weniger hoch verzinst werden als bei einem korrekten Umwandlungssatz.

Referenzalter 65 ist eine willkürliche Zahl

Für Gmür ist klar, dass auf diese Vorsorgereform weitere folgen werden. So gehe das Referenzalter 65 immer noch auf den Beschluss des Deutschen Reichstages von 1916 zurück, als lediglich drei von zehn Erwerbstätigen dieses Alter überhaupt erreichten, wie er betont. Heute sei es gerade umgekehrt. Nicht einmal zwei von zehn Schweizern würden vor 65 sterben. Das zeige, dass 65 eine willkürliche Zahl sei, über die man reden müsse. Es gebe aber verschiedene Möglichkeiten, wie das Rentenalter festgelegt und entpolitisiert werden könne. Das müsse keine fixe Zahl sein.

Regeln für Versicherer bergen systemische Risiken

Die Versicherer sind in einem Korsett aus Mindestzins, Kapitalvorschriften und Anlagerichtlinien eingezwängt. Hätten sie weniger strenge Regeln zu befolgen, könnten die Versicherer bestimmt deutlich mehr erwirtschaften, gibt sich Gmür überzeugt. Die heutigen Vorschriften hätten zudem noch eine weitere Nebenwirkung: Sie führten dazu, dass alle Versicherer ihr Kapital gleich anlegen würden. Daraus entstünden systemische Risiken.

Versicherer können nur bedingt vom Aktienboom profitieren

So würden alle sehr tiefe Aktienquoten im mittleren einstelligen Prozentbereich fahren. Damit hätten die Versicherer vom Aktienboom der letzten Jahre nur bedingt profitieren können. Stattdessen seien sie gezwungen, in langlaufende Obligationen zu investieren. Gleichzeitig würden alle auf solide Immobilien und Hypotheken setzen.

Bedarf an Banken-Know-how steigt

Tatsache ist, dass für die Versicherer der Bedarf an Banken-Know-how steigt. Das liegt daran, dass gemäss Gmür immer mehr Kunden ihre Vorsorge mit anteilgebundenen Lebensversicherungen betreiben. Diese enthalten Bankprodukte wie Fonds.

Helvetia zeigt sich gegenüber Allfinanz aufgeschlossen

In den Augen von Gmür ist es für die Kunden sinnvoll, Bank- und Versicherungsprodukte zu kombinieren. Das hänge jedoch ganz von den Bedürfnissen der Kunden ab. Für sie sei Allfinanz aber kein Tabu, sondern sie schätzten das „One-Stop-Shopping“. Allerdings verstehe Helvetia unter Allfinanz nicht, dass man gleich (mit einer Bank) fusioniere, sondern sich vielmehr gegenseitig mit Dienstleistungen ergänze. 

Dafür, sich an einem einzelnen Drittanbieter von Finanzprodukten zu beteiligen, sieht Gmür denn auch keinen Grund. Helvetia bezieht knapp 1‘000 Fonds aus ihrem „Helvetia-Universum“ von Drittanbietern.

Über Helvetia

Helvetia ist mit einem Marktanteil von 10% die Nummer drei der Lebensversicherer in der Schweiz. Sie ist aus dem Sachversicherer Helvetia, dem Lebensversicherer Patria und der gemischten Nationale Suisse entstanden. Der Versicherer generiert zwei Drittel der Erträge mit Sach- und einen Drittel mit Lebensversicherungen. Rund 70% der Erträge stammen aus der Schweiz.

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