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Die Risiken für eine Stagflation haben zugenommen

Montag, 27.06.2016

Der Austritt Grossbritanniens aus der EU dürfte mittelfristig geringe Auswirkungen auf das globale Wachstum haben. Wichtiger seien US-Dollar, China und die Zentralbankaktionen, sagt eine der weltweit grössten Investmentgesellschaften.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat das Brexit-Votum für den Rest der Welt über die nächsten sechs bis zwölf Monate gesehen, sowie auf die Sicht von drei bis fünf Jahren? Dieser Frage geht Joachim Fels, Global Economic Advisor bei PIMCO, nach.

Direkte Handelseffekte durch den Brexit sind limitiert

«Wir glauben, dass die mittelfristigen Auswirkungen auf das globale Wachstum und die Inflation vermutlich relativ gering sein werden – und mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht gross genug, um die Weltwirtschaft in eine Rezession zu treiben», ist Fels überzeugt. «Selbst, wenn Grossbritannien eine Rezession erleiden sollte, was durchaus ein plausibles Szenario ist, wären die Nebenwirkungen auf das globale Brutto-Inlandsprodukt (BIP) infolge niedrigerer Importe durch das Vereinigte Königreich minimal». Laut Fels steht Grossbritannien nur für 3.6% der globalen Einfuhren an Handelsgütern und für 4.1% der weltweiten Importe an kommerziellen Dienstleistungen.

Investitionstätigkeit kühlt sich ab

Zusätzlich zu diesen direkten Handelseffekten dürfte es wahrscheinlich rund um den Globus zu einer leichten Abkühlung bei den Investitionen kommen – wegen der höheren Unsicherheit über die globalen Auswirkungen des Brexit-Votums und aufgrund verschärfter Finanzierungs- und Kredit-Konditionen, so Fels. Haben die Firmen Zweifel, würden sie ihre Investitionsprojekte verschieben, um zu evaluieren, wie der Brexit diese Projekte beeinflussen könne. «Die Handels- und Investitions-Effekte zusammengenommen könnten dazu führen, dass der globale Wachstumspfad in den kommenden Quartalen etwas absinkt – jedoch nicht so sehr, dass daraus eine Rezession resultiert», wie Fels annimmt.

Eurozone dürfte vom Brexit am stärksten betroffen sein

Für die Eurozone, die nach der britischen Wirtschaft am stärksten vom Brexit betroffen sein dürfte, prognostiziert sein Kollege Nicola Mai einen negativen Einfluss auf das BIP-Wachstum von minus 0.3%. Der Effekt auf die USA und andere Weltregionen dürfte wahrscheinlich geringer ausfallen, so Fels.

Allerdings behält PIMCO drei gegenseitig stark abhängige Faktoren genau im Blick, die in den nächsten sechs bis zwölf Monaten gemäss Fels einen grösseren negativen Einfluss auf die Weltwirtschaft haben könnten: den US-Dollar, China und die Aktionen der Zentralbanken.

Erstarkender US-Dollar würde die globale Wirtschaft gefährden

Ein signifikant stärkerer US-Dollar als Reaktion auf die weltweite Risiko-Aversion wäre laut Fels nicht nur für die Wachstumsaussichten in den USA selbst ein Problem, sondern auch für sämtliche USD-Schuldner in den Schwellenländern. Das könnte auch die Rohstoffpreise wieder einbrechen lassen, fürchtet er, womit ein Film ablaufe, den man im vergangenen Jahr bereits gesehen habe.

China könnte durch eine Währungsabwertung Deflationssorgen verstärken

China könnte als Antwort auf einen anziehenden US-Dollar eine schnellere Abwertung seiner Währung gegenüber dem Greenback zulassen – und das wiederum könnte die globalen Wachstums- und Deflationssorgen verstärken, warnt Fels.

Zentralbanken könnten Märkte weiterhin mit billigem Geld fluten

Drittens erwartet Fels weitere Aktionen nahezu von allen bedeutenden Zentralbanken, um den potenziellen Schaden, den der Brexit verursachen könnte, zu begrenzen. Fels geht davon aus, dass die Bank of England ihren offiziellen Leitzins relativ zügig von 0.5% auf null Prozent reduzieren wird, und, falls nötig, auch das Quantitative-Easing-Programm neu auflegen wird. 

PIMCO hatte bereits vor dem Brexit-Votum die Wahrscheinlichkeit für eine neuerliche geldpolitische Lockerung durch die Europäische Zentralbank auf 50:50 veranschlagt. Diese Wahrscheinlichkeit sei infolge des Votums sicher nicht geringer geworden. Auch für Japan erwartet PIMCO eine weitere geldpolitische Lockerung durch die japanische Notenbank an deren nächster Sitzung vom 29. Juli und sieht ferner eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Währungsintervention, um den Yen in der nahen Zukunft zu schwächen.

US-Leitzinserhöhung scheint für dieses Jahr fraglich

Und in den USA sei eine Leitzinserhöhung im Juli nun wohl vollständig vom Tisch, so Fels. Für September würde PIMCO einen solchen Schritt nicht komplett ausschliessen, aber er ist doch sehr unwahrscheinlich geworden, zumal der US-Präsidentschafts-Wahlkampf dann bereits in vollem Gange sein werde. «Vor diesem Hintergrund erscheint selbst eine Zinserhöhung im Dezember zum jetzigen Zeitpunkt zunehmend fraglich zu sein», so Fels weiter.

Politische Risiken und Spannungen steigen – Stabilität sinkt

Fels geht davon aus, dass das Votum im Vereinigten Königreich Teil einer breiteren, globaleren Bewegung und Reaktion gegen das Establishment, wachsende Ungleichheit und die Globalisierung insgesamt ist. So werde der Brexit-Schock den Druck auf die derzeitigen und künftigen etablierten Regierungen erhöhen, mehr gegen Ungleichheit zu unternehmen, gegebenenfalls protektionistischer zu agieren und die Zuwanderung zu begrenzen. Dies unterstreiche PIMCOs langfristiges Szenario, das von grösseren politischen Risiken und Spannungen sowie einer „unsicheren Stabilität“ ausgeht.

Wahrscheinlichkeit einer Stagflation nimmt zu

Was könnte das langfristig für die Weltwirtschaft bedeuten? Am wichtigsten ist laut Fels wohl die Erkenntnis, dass Anleger in den nächsten drei bis fünf Jahren eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Stagflation in Kauf nehmen und akzeptieren müssen: also noch niedrigere Wachstumsraten oder Fast-Stagnation, gekoppelt mit einem signifikanten Anstieg der Inflation.

Dieses Szenario ist nach Ansicht von Fels wahrscheinlich für den Fall, dass gegenwärtige oder künftige Regierungen protektionistischer agieren und Barrieren gegen Einfuhren und Einwanderung errichten, und sie ausserdem den Kampf gegen Ungleichheit intensivieren, indem sie eine Einkommensumverteilung von Kapital zu Erwerbsarbeit vornehmen (mittels Steuerpolitik und Regulierung). Dies könnte das erwartete niedrige BIP-Wachstum weiter schmälern und würde wahrscheinlich zu höherem Lohn- und Inflationsdruck führen.

Risikobehaftete Anlageklassen und nominale Anleihen könnten „verlieren“

«Sollte dieses Szenario tatsächlich Wirklichkeit werden, dann würden sowohl risikobehaftete Anlageklassen als auch nominale Anleihen schlecht performen – Sie erinnern sich noch an die 1970er Jahre? Allerdings haben Anleger jetzt ein Instrument zur Hand, das damals nicht existierte: inflationsgeschützte Anleihen, die von niedrigeren realen Zinssätzen als Resultat von schwächerem Wirtschaftswachstum und steigender Inflation profitieren», so Fels.

Die Pacific Investment Management Company (PIMCO) ist eine der Allianz gehörige Investmentgesellschaft mit Sitz in den USA. Sie hat sich auf Bonds bzw. Anleihen spezialisiert und ist mit 1,87 Billionen US-Dollar Anlagevermögen eines der grössten Unternehmen in diesem Segment.

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