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Die Pensionierung der Babyboomer stellt auch die Pflegekosten-Aufteilung in Frage

Samstag, 18.07.2015

Altersvorsorge und -pflege in der Schweiz brauchen kostendämpfende Massnahmen und neue Finanzierungsformen. Hauptgrund ist die Pensionierung der Babyboomer und damit ein verändertes Kräfteverhältnis zwischen Aktiven und Rentnern.

Zuerst die gute Nachricht: Wir werden immer älter und bleiben immer länger jung. Die Lebenserwartung steigt, und dies zum grossen Teil bei guter Gesundheit. Gleichzeitig, als Folge des Wohlstands, bekommen Frauen weniger Kinder. Die durchschnittliche Geburtenrate liegt in der Schweiz bei 1,5 Kinder pro Frau; sie liegt damit deutlich unter dem nötigen Wert von 2,1 Kinder pro Frau, die eine konstante Bevölkerungsgrösse sichern würde. Ein längeres Leben bei tieferer Geburtenrate führt zu einer Alterung der Gesellschaft. Konnte man früher von einem breiten Familienstammbaum sprechen, so gleichen die heutigen Generationenstrukturen eher einem langen, schmalen Bambusstock. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den Generationenvertrag sowohl im «Kleinen», in der Familie, als auch im «Grossen», sprich bei der staatlichen sozialen Sicherheit, wie Dr. Jérôme Cosandey schreibt. Er setzt sich seit 2011 als Projektleiter von Avenir Suisse mit dem Reformbedarf in der Altersvorsorge, der Organisation und Finanzierung der Alterspflege und Fragen der Altersarbeit auseinander.

Der Generationenvertrag gerät zunehmend unter Druck

Zuerst führt ein längeres Leben zu neuen Krankheitsbildern. Dank dem medizinischen Fortschritt überleben mehr Menschen Herzinfarkte und Krebserkrankungen. Dafür leiden sie mehr und mehr unter chronischen Beschwerden, wie etwa Alzheimer. Ehepartner und Verwandte sind bei der Pflege solcher Fälle besonders gefordert und kommen oft an ihre eigenen Grenzen. Die Alterung der Gesellschaft beeinträchtigt diese Form des Generationenvertrags, weil die Betreuungsaufgabe auf den Schultern von immer weniger Freiwilligen lastet.

Dieser demographische Trend wird durch Veränderungen unserer Gesellschaft verschärft. Mit der Urbanisierung sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein Kind in unmittelbarer Nähe der Eltern bleibt. Längere Arbeitswege und unregelmässige Arbeitszeiten erschweren regelmässige Betreuungsdienste innerhalb der Familie.

Verhältnis der aktiven Bevölkerung zu den Hochaltrigen halbiert sich bis 2030

Können Ehepartner und Kinder ihren betagten Angehörigen nicht mehr helfen, müssen diese durch Fachpersonen, ambulant oder stationär, gepflegt werden. Auch hier fordert die Alterung ihren Tribut, weil der Topf potentieller Fachkräfte kleiner wird. In der Schweiz wird sich bis 2030 das Verhältnis der aktiven Bevölkerung zu den Hochaltrigen halbieren, bis 2050 sogar dritteln.

Alterung der Gesellschaft gefährdet die Finanzierung wichtiger Sozialversicherungen

Zuletzt gefährdet die Alterung der Gesellschaft die Finanzierung wichtiger Sozialversicherungen. So zum Beispiel die im Umlageverfahren organisierte AHV. Nach diesem «Durchlauferhitzer»-Prinzip zahlen die Erwerbstätigen via Lohnbeiträge die laufenden Renten der heutigen Rentner. Mehr Rentner, die länger leben, müssen durch immer weniger Erwerbstätige finanziell unterstützt werden. Auch die Finanzierung der Alterspflege ist von dieser Entwicklung tangiert. Diese stützt sich auf drei Pfeiler: Pflege, Betreuung und Hotellerie. Für die letzteren beiden zahlt der Betagte aus eigener Kasse. Die Pflegekosten werden zwischen Krankenkassen, der öffentlichen Hand und den Heimbewohnern aufgeteilt. Die Prämien der Krankenkassen werden pro Kopf und unabhängig vom Alter festgelegt.

73% der Einkommens- und Vermögenssteuern werden von Steuerzahlern unter 65 Jahren geleistet

Da die meisten Gesundheitskosten in den zwei Jahren vor dem Tod entstehen, bedeutet dies eine, durchaus gewollte Subventionierung der Alten durch die Jungen. Auch die staatliche Finanzierung der Pflege setzt eine hohe Solidarität zwischen den Generationen voraus, weil die Restkostenfinanzierung im ambulanten wie im stationären Bereich, sowie Betreuungs- und Hotelleriekosten von Bezüger von Ergänzungsleistungen durch Steuermittel sichergestellt wird. Eine Schätzung des Steueramtes des Kantons Zürich zeigt, dass 73% der kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern von Steuerzahlern unter 65 Jahren geleistet werden.

Kostenaufteilung gewinnt an Bedeutung

Um die finanziellen und personellen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu meistern, wird der schonende Umgang mit knappen Ressourcen besonders wichtig.

Jérôme Cosandeys Ausführungen zur Alterspflege wurden hier ausgelassen. Sie können unter diesem Link nachgelesen werden.

Nebst der Eindämmung der Kostenentwicklung muss auch die Frage, wie diese Kosten aufgeteilt werden, adressiert werden. Viele empfinden die heutige Pflegefinanzierung als unfair. Wer beim Pflegeheimeintritt noch Kapital besitzt, muss den Aufenthalt selber zahlen, wer nicht, wird mit Ergänzungsleistungen unterstützt. Sparen für die Alterspflege wird bestraft, Konsum belohnt.

Vererbbares Pflegekapital wäre eine neue Finanzierungsform

Avenir Suisse schlägt deshalb die Bildung eines obligatorischen, individuellen und vererbbaren Pflegekapitals vor. Die angesparten Mittel sind im Pflegefall für alle Leistungen einsetzbar, ob Pflege oder Betreuung, ob zu Hause oder im Heim, je nach Präferenz. Heute werden die Pflegekosten auf die Krankenkasse, die kantonale Gesundheitsdirektion und den Patienten aufgeteilt. Letzterer zahlt auch die Betreuungs- und Hotelleriekosten, es sei denn, er bezieht Ergänzungsleistungen. Dann springt die Sozialdirektion ein. Mit dem Pflegekapital wäre alles aus einer Hand finanziert. ...[ ].

Der Beitrag in voller Länge erschien bei der Walder Stiftung im Juni 2015. 

Weiterführende Informationen zum Thema finden sich im Buch «Generationenungerechtigkeit überwinden» (Avenir Suisse, Juni 2014).

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