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Die Banken tun sich mit dem einsetzenden Strukturwandel schwer

Montag, 09.01.2017

Die Finanzbranche steht unter Druck: Die Margen im traditionellen Bankgeschäft gehen weiter zurück und die Profitabilität sinkt. Bereits ein Drittel der Schweizer Banken plant deshalb die Einführung von Negativzinsen im Privatkundengeschäft.

Die Schweizer Finanzbranche wird von einem fundamentalen Strukturwandel erfasst: 87% der in einer Studie von EY befragten Banken in der Schweiz erwarten umwälzende Veränderungen in der Wertschöpfungskette. Gleichzeitig sind die Margen im traditionellen Bankgeschäft unter Druck; die sinkende Profitabilität wird zu einem grundlegenden Problem. 92% der 120 Institute, die für das EY Bankenbarometer 2017 befragt wurden, rechnen mit weiter sinkenden Renditen. Auf diese Herausforderungen reagieren die Banken bislang mit herkömmlichen Massnahmen zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung.

Banken zeigten bisher hohe Widerstandsfähigkeit

Trotz Strukturwandel und Profitabilitätsproblemen beurteilt der Grossteil der Schweizer Banken die Geschäftsentwicklung jedoch positiv. 80% (im Vorjahr 81%) haben in den letzten zwölf Monaten gemäss eigenen Angaben gute operative Ergebnisse erzielt, 68% (im Vorjahr 75%) rechnen im laufenden Jahr weiterhin mit guten Resultaten. «Das überwiegend positive Urteil der Schweizer Banken überrascht, ist die Branche doch mit vielfältigen, teilweise fundamentalen Herausforderungen konfrontiert», sagt Patrick Schwaller, Managing Partner Assurance, Financial Services, bei EY Schweiz.

Die Banken zeigten bisher eine relativ hohe Widerstandsfähigkeit, so Schwaller weiter. Er sieht jedoch einen beunruhigenden Gegentrend: Ein Drittel der befragten Banken schätzt den künftigen Geschäftsverlauf zunehmend negativ ein, einige rechnen mit markanten Einbussen.

Negativzinsen haben weitreichende Konsequenzen

Die Negativzinsen setzen den Banken zu: 95% sehen im anhaltenden Tiefzinsumfeld gravierende Konsequenzen. So wird die Profitabilität geschmälert, es kommt zu langfristigen Problemen bei den Vorsorgesystemen und das Risiko einer Blasenbildung bei gewissen Anlageklassen nimmt zu. «Negativzinsen schmälern nicht nur die Ertragschancen, sondern verzerren auch den Steuerungsimpuls für den Produktionsfaktor Kapital. Dies kann zu Fehlallokationen von Kapital und Liquidität führen – mit heute noch nicht absehbaren langfristigen Folgen», warnt Olaf Toepfer, Leiter Banking bei EY Schweiz.

Ein Drittel plant die Einführung von Negativzinsen im Privatkundengeschäft

35% (im Vorjahr 30%) der Schweizer Banken planen die Einführung von Negativzinsen im Privatkundengeschäft, dies aber nur ab einem bestimmten Guthaben, oder falls die Nationalbank die Zinsen weiter senken sollte. Bei den Kantonalbanken erwägen bereits 60% (im Vorjahr 20%) einen solchen Schritt. «Bis heute haben erst wenige Banken in der Schweiz Negativzinsen im Privatkundengeschäft eingeführt. Ein Grund für die Zurückhaltung ist die Befürchtung, die Kunden mit Negativzinsen zum Abzug ihrer Gelder zu bewegen. Der Gesinnungswandel der Kantonalbanken zeigt jedoch, dass die Bereitschaft vieler Institute schwindet, die durch die Negativzinsen verursachten Mehrkosten alleine zu tragen», sagt Schwaller.

Potenzial der Digitalisierung ist noch nicht erkannt

Die Digitalisierung treibt den Strukturwandel voran. Bis heute erkennt jedoch nur eine Minderheit der Schweizer Banken das gesamte Potenzial der Digitalisierung. 64% (im Vorjahr 67%) sind der Meinung, dass ihr Geschäft im Kern bestehen bleibt und die Digitalisierung in erster Linie einen zusätzlichen Vertriebskanal darstellt.

Das sieht Toepfer anders. Demnach sehen wir heute erst die Spitze des Eisbergs. So werde die Digitalisierung fundamentale Auswirkungen auf Strategien, Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse haben. Die Digitalisierung stellt seiner Meinung nach grundlegende Herausforderungen an die Kundenschnittstelle und an die Kooperation in Wertschöpfungsnetzwerken. Die Digitalisierung erleichtere branchenfremden Konkurrenten zudem den Markteintritt und könne die bereits seit Jahren sinkende Loyalität der Kunden weiter schwächen.

Branchenfremde Konkurrenz ist eine Realität

Branchenfremde Konkurrenten beginnen, die Schweizer Banken unter Druck zu setzen. Über zwei Drittel der Institute rechnen damit, dass ihre Marktstellung durch neue Technologien, IT-Unternehmen und branchenfremde Anbieter bedroht wird.

Gemäss Schwaller haben die Banken die Gefahr durch branchenfremde Konkurrenten lange Zeit nicht ernst genommen. Die Realität sei eine andere: Erste branchenfremde Anbieter erschienen auf dem Markt und würden für ausgewählte Komponenten der Wertschöpfungskette der Banken in den Wettbewerb treten. Die technologische Entwicklung und zu erwartende regulatorische Anforderungen beim Open Banking erleichterten den Markteintritt zusätzlich. Dadurch steige der Wettbewerbsdruck und die Margen würden sinken, warnt Schwaller.

Personalabbau und Filialschliessungen werden nicht ausreichen

Das verschärfte strukturelle Profitabilitätsproblem sowie der beginnende Strukturwandel zwingen die Banken dazu, den Fokus noch stärker auf Kosten und Effizienz zu legen. Diese Themen haben für die befragten Institute im laufenden Jahr die grösste Bedeutung, nachdem über viele Jahre Risiko und Regulierung im Vordergrund standen.

Die Banken versuchen, Verbesserungen durch herkömmliche Massnahmen zu erzielen, etwa über den Abbau von Personal und durch die Straffung des Filialnetzes. So planen 15% (im Vorjahr 11%) der Banken, die Zahl der Beschäftigten um 5% oder mehr zu reduzieren; bei den Privatbanken, die vom Strukturwandel besonders stark erfasst werden, sind es sogar 26% (im Vorjahr 10%). Gleichzeitig rechnen 95% (im Vorjahr 85%) der befragten Institute damit, dass es bis zum Jahr 2020 deutlich weniger Bankfilialen geben wird; zwischen 2000 und 2015 sind bereits rund 640 Niederlassungen geschlossen worden.

Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle muss mit Effizienzsteigerung finanziert werden

Um ihre Handlungsoptionen aufrecht zu erhalten, müssten die Banken ihre strategische und operative Effizienz verbessern, sagt Töpfer. Taktische Massnahmen zur Kostensenkung hingegen ermöglichten keine nachhaltige Steigerung der Effizienz. Stattdessen brauche es strukturelle Anpassungen am Geschäftsmodell. Dabei gelte es, die Konzepte der Industrialisierung auf die eigene Wertschöpfungskette anzuwenden und Chancen des Wandels zu nutzen. Letztlich müssten die Banken die Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle mit der Effizienzsteigerung finanzieren, so Toepfer.

Banken haben Vermögensabflüsse mit Neugeldern kompensiert

Trotz der bevorstehenden Umsetzung des Automatischen Informationsaustauschs (AIA) haben 71% (im Vorjahr 66%) der befragten Institute in den letzten zwölf Monaten keine bedeutenden Abflüsse ausländischer Kundengelder verzeichnet. Eine deutliche Entspannung ist bei den Privatbanken zu beobachten: 74% (im Vorjahr 53%) melden keine nennenswerten Abflüsse ausländischer Vermögen. «Den Banken gelingt es weiterhin, neue Vermögenswerte anzuziehen. Dabei profitieren sie davon, dass die Vermögen weltweit wachsen und sich die Standortvorteile der Schweiz – Stabilität und Sicherheit – vermarkten lassen. Allerdings werfen die neu verwalteten Vermögen oft geringere Erträge ab als in der Vergangenheit», so Schwaller.

Kreditvergabepolitik wird expansiver

Die Banken wollen das Kreditgeschäft weiterentwickeln: 66% (im Vorjahr 55% erwarten für die nächsten zwölf Monate eine gleich bleibende oder expansivere Kreditvergabe. Dies ist der höchste Wert seit fünf Jahren und betrifft sowohl die KMU- als auch die Wohnbaufinanzierung. Im aktuellen Umfeld hat das Kreditgeschäft gegenüber dem unter geringem Transaktionsvolumen leidenden Handels- und Anlagegeschäft an Attraktivität gewonnen.

Ungeachtet der tiefen Zinsen halten die Banken an den aktuellen Regeln zur Vergabe von Hypothekarkrediten fest. 85% der Institute lehnen es ab, den kalkulatorischen Hypothekarzinssatz, auf dessen Grundlage die Tragbarkeit des Erwerbs von Wohneigentum berechnet wird, anzupassen. «Eine Senkung des kalkulatorischen Hypothekarzinssatzes ist derzeit nicht mehrheitsfähig und wird von verschiedenen Instituten wie auch vom Regulator abgelehnt. Die Banken tragen damit dazu bei, einer Blase im Immobiliensektor vorzubeugen, und sichern sich gleichzeitig gegen Ausfälle bei langfristig steigenden Zinsen ab», sagt Toepfer.

Über die Studie

Das EY Bankenbarometer basiert auf der Befragung von 120 Führungskräften (Mitglieder der Geschäftsleitung) von verschiedenen Banken in der ganzen Schweiz. Auch die Schweizer Einheiten der zwei Grossbanken wurden befragt; ihre Einschätzungen sind in die generellen Auswertungen eingeflossen, wurden aber in den Auswertungen nach Bankentyp nicht berücksichtigt. Bei 34% der befragten Institute handelt es sich um Regionalbanken, bei 27% um Privatbanken, bei 23% um Auslandsbanken und bei 16% um Kantonalbanken. 74% der Institute stammen aus der Deutschschweiz, 19% aus der Westschweiz und 7% aus dem Tessin. Die telefonische Befragung wurde im November 2016 im Auftrag von EY durch das unabhängige Marktforschungsinstitut Valid Research in Bielefeld durchgeführt.

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