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«Die Analyse der Auszahlung von Ergänzungsleistungen ist wenig stichhaltig»

Montag, 05.06.2017

Der Bezug von Kapital aus der zweiten Säule soll beschränkt werden. Dabei ist diese Beschränkung rein politisch motiviert, sagt Avenir Suisse. Stattdessen müssten die Finanzierungsprobleme für die IV und die Langzeit-Alterspflege gelöst werden.

Der Bundesrat hat beantragt, den Kapitalbezug aus der beruflichen Vorsorge zu beschränken. Eine im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) durchgeführte Studie hat vor etwa einem Jahr die Folgen eines Kapitalbezugs aus der 2. Säule auf die Ergänzungsleistungen (EL) untersucht. Wegen methodischer Mängel seien die Resultate stark verzerrt, kritisiert Avenir Suisse.

Objektiver Vergleich mit der Gesamtbevölkerung fehlt

Die im Auftrag des BSV durchgeführte Studie habe wichtige Aspekte offensichtlich ausser Acht gelassen. Thema seien die Folgen eines Kapitalbezugs aus der 2. Säule auf die Ergänzungsleistungen (EL) gewesen. Zehn Ausgleichskassen hätten 3‘000 Anträge auf Ergänzungsleistungen analysiert. Die detaillierten Ergebnisse seien zwar interessant, aber wenig stichhaltig. So hätten zwar 33% der Antragsteller ihre Guthaben aus der 2. Säule (BVG) tatsächlich als Kapital bezogen. Ein objektiver Vergleich mit der Gesamtbevölkerung unter Einbeziehung der Rentner, die ihr Kapital bezogen, aber keine EL beantragt hätten, fehle aber, wie Jérôme Cosandey von Avenir Suisse aufzeigt.

Einsparungen dank Kapitalbezug wurden ausser Acht gelassen

Zu diesem groben, methodologischen Fehler komme noch ein zweiter, der deutlich heimtückischer sei, fährt Cosandey fort. Die Verluste der EL-Antragsteller, die ihr Kapital bezogen hätten, seien genauestens berechnet worden. Am Datum der EL-Antragsstellung habe man verglichen, welche EL der Versicherte erhalten hätte, wenn er die Rente gewählt hätte, mit den EL, die ihm nach Verzehr des Kapitals tatsächlich gewährt wurden. So weit, so gut. Nicht berücksichtigt habe man aber die Vorteile eines Kapitalbezugs. Beziehe ein Bürger sein Kapital und verbrauche er es innerhalb von zehn Jahren, profitiere er de facto von einem Umwandlungssatz von mindestens 10%. Seine «Rente» sei also deutlich höher als jene, die er von der Pensionskasse erhalten hätte, und er stelle seinen Antrag auf EL entsprechend später. Vielleicht sterbe er gar, bevor dies nötig werde. Der Bericht des BSV quantifiziere diese Einsparung nicht.

Beschränkung des Kapitalbezugs in der 2. Säule ist willkürlich

Der Bundesrat beantrage ungeachtet der Mängel der Studie den Kapitalbezug im obligatorischen Teil der BVG ganz zu verbieten oder auf die Hälfte des Guthabens zu beschränken. Die im Dezember 2015 in die Vernehmlassung geschickte Botschaft sei ursprünglich ein Jahr früher geplant gewesen. Avenir Suisse habe gehofft, dass die zusätzliche Zeit für eine solidere Prüfung der Frage genutzt würde. Anhand des erwähnten Berichts lasse sich die Hypothese, dass der Kapitalbezug Verluste bei den EL verursache, aber weder belegen noch verwerfen. Da es an fundierten Beweisen fehle, sei der Entscheid einer Beschränkung des Kapitalbezugs in der 2. Säule willkürlich und rein ideologisch begründet.

Kosten für die Langzeitpflege sind entscheidend

Die Kosten für Ergänzungsleistungen hätten zwischen 2003 und 2012 um 1.9 Milliarden Franken zugenommen, rechnet Cosandey vor. Ein Drittel dieser Zunahme hänge mit den Invalidenrenten (IV) zusammen, ein Drittel mit gesetzlichen Anpassungen für den erleichterten Zugang zu EL und ein Drittel mit AHV-Renten. Nur für dieses letzte Drittel könne der Kapitalbezug tatsächlich eine Rolle spielen.

Entscheidend seien aber die Kosten für die Langzeitpflege. Ein 65-jähriger Versicherter mit einem BVG-Guthaben von weniger als 50’000 Franken (ein Drittel der Personen, die sich in erwähnter Studie für den Kapitalbezug entschieden) habe die Wahl zwischen einem Kapitalbezug und einer Rente von 285 Franken pro Monat. Um monatlich 8000 Franken für ein Altersheim zu bezahlen, reiche dies nicht. Der Angriff auf den Kapitalbezug in der 2. Säule gleiche einer Nebelpetarde. Man schwimme auf einer populistischen Welle mit: Jedermann kenne jemanden, der jemanden kenne, der seine 2. Säule verspielt habe. Die Problematik der immer jüngeren IV-Rentner und jene der Finanzierung der Alterspflege, die den öffentlichen Haushalt immer stärker belaste, würden absichtlich ausser Acht gelassen. Solange die Gesellschaft diese grundsätzlichen Probleme nicht löse, würden die Ergänzungsleistungen weiter explodieren, mahnt Cosandey.

Dieser Beitrag ist in der März-Ausgabe 3/16 der «Schweizer Personalvorsorge» erschienen, wurde von Avenir Suisse aus aktuellem Anlass (die geplante Beschränkung des Kapitalbezugs) wiederholt.

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