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«Die AHV wird schleichend ausgebaut»

Freitag, 20.05.2016

Seit der letzten AHV-Revision 1997 sind die Renten laufend angepasst worden. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und durch die Indexierung mit dem Mischindex nahmen die AHV-Renten der Männer bis zu ihrem Ableben real um 25% zu.

«Immer höhere Renten werden immer länger ausbezahlt.» So zumindest sieht es Jérôme Cosandey, Projektleiter von Avenir Suisse. Er setzt sich seit 2011 mit dem Reformbedarf in der Altersvorsorge, der Organisation und Finanzierung der Alterspflege und Fragen der Altersarbeit auseinander. Tatsächlich hat der Ständerat bei der Altersvorsorgereform 2020 beschlossen, die AHV-Renten für Neurentner um 70 Franken pro Monat zu erhöhen. Seit 1997 seien die AHV-Renten nie erhöht worden, es sei höchste Zeit, die AHV auszubauen, so der Grundtenor. Cosandey wirft nun die Frage auf, ob dies überhaupt stimme.

Die maximale AHV-Rente ist zwischen 1980 und 2014 real um 16% gestiegen

Tatsache ist, dass die letzte, 10. AHV-Revision vor fast zwanzig Jahren in Kraft trat. Das heisse aber nicht, dass die AHV-Renten seither konstant geblieben seien, wie Cosandey erläutert. Die AHV-Renten würden alle zwei Jahre dem Mischindex, dem Mittel zwischen dem Preis- und dem Lohnindex, angepasst. Da die Löhne seit der Einführung des Mischindexes 1980 deutlich schneller als die Konsumentenpreise gestiegen seien, sei die maximale AHV-Rente bis 2014 real, nach Berücksichtigung der Inflation, um 16% gestiegen. Seit der letzten AHV-Revision 1997 seien es 6%, wie Cosanday errechnet hat.

Der Mischindex ist Fluch und Segen je nach Standpunkt

Für bestehende Rentner habe der Mischindex einen Geldsegen bedeutet, weil ihre Rente stärker als die Inflation angestiegen sei. Für Neurentner sei er hingegen ein Fluch gewesen, weil die Rente weniger schnell als die Löhne gewachsen sei. Damit sei die Ersatzrate der ersten Säule, das Verhältnis der Rente zum letzten Lohn, gesunken. Für Arbeitnehmer, die vor allem Renten aus der AHV bezögen, reiche die Pension immer weniger, um den bisherigen Lebensunterhalt zu finanzieren.

OECD-Länder wie Kanada, Japan, Grossbritannien oder Südkorea verwendeten deshalb für die Festlegung der Rentenhöhe zwei separate Anpassungsmechanismen: Eine Valorisierung der neuen Rente an die Lohnentwicklung, um die Ersatzrate konstant zu halten, und eine Indexierung der laufenden Rente an die Inflation, um die Kaufkraft der Rentner zu erhalten.

Gesamtauszahlung an Männer ist pro Jahr um 1.3% gestiegen

Dass die Ersatzrate für Neurentner gesunken sei, heisse allerdings nicht, dass für sie die AHV abgebaut worden sei. Warum? Weil die Ersatzrate nur ein Kalenderjahr berücksichtige. Wolle man die Situation unterschiedlicher Jahrgänge vergleichen, dürfe man die Entwicklung der Bezugsdauer, also der Lebenserwartung im Alter 65, nicht ausser Acht lassen.

Seit 1980 habe die Lebenserwartung für Männer um 5,1 Jahre, satte 36%, zugenommen. Für Männer bedeute die längere Lebenserwartung eine Erhöhung der Gesamtsumme, die sie von der AHV bis zum Ableben erhielten, ohne Anpassung der Beitragsdauer. Der kombinierte Effekt einer höheren Realrente und einer längeren Bezugsdauer sei beträchtlich.

Multipliziere man vereinfachend die Renten bei der Pensionierung mit den entsprechenden Lebenserwartungen, sei die Gesamtauszahlung zwischen 1980 und 2014 real um 57% gestiegen, oder um 1.3% pro Jahr! Seit der letzten AHV-Revision seien es 25%, ebenfalls 1.3% pro Jahr.

Rechnung für Frauen sieht bescheidener aus

Die Rechnung für Frauen sehe ähnlich, wenn auch bescheidener aus, erklärt Cosandey weiter. Ihre Lebenserwartung habe seit 1980 zwar um 4,3 Jahre zugenommen; das Rentenalter sei im Rahmen der letzten AHV-Revision jedoch von 62 auf 64 Jahre erhöht worden. Somit sei die Gesamtsumme der AHV-Renten für sie seit 1980 «nur» um 25%, seit 1997 um 2% gestiegen. Mit der 10. AHV-Revision, die man auch die Frauenrevision genannt habe, sei – als Kompensation für die Erhöhung des Rentenalters – der Einsatz zugunsten der Familie mittels Erziehungs- und Betreuungsgutschriften als AHV-Beiträge anerkannt worden. Ebenfalls habe man bei Scheidungen das Splitting der AHV-Beiträge der Ehegatten eingeführt. Für viele Frauen hätten diese Massnahmen substanziell zur finanziellen Absicherung im Alter beigetragen.

Leistungen der AHV wurden in den letzten 35 Jahren laufend erweitert

Die Leistungen der AHV seien also in den letzten 35 Jahren laufend erweitert worden, mit den bekannten finanziellen Konsequenzen. Die anstehende Reform Altersvorsorge 2020 solle dieses Niveau halten, nicht ausbauen. Allerdings sei die sinkende Ersatzrate der ersten Säule für Neurentner mittelfristig ein ernstzunehmendes Thema. Dafür brauche es eine gründliche Debatte über den Mischindex. Ob die Politik diese Pfründen der Rentner antasten will, sei allerdings dahingestellt, wie Cosandey antönt.

Dieser Beitrag ist auch in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift «Schweizer Versicherung» erschienen.

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