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Der Wirtschaftsstandort Schweiz ist in Gefahr

Dienstag, 15.11.2016

Das schweizerische Bruttoinlandprodukt wird zu 64% von Binnen-Unternehmen erwirtschaftet. Der Rest stammt von Multinationals. Sie sind im internationalen Standortwettbewerb umkämpft – doch wie viel kann die Schweiz ihnen noch bieten?

Die Schweiz rühmt sich ihrer Standortqualitäten. Tatsächlich sind in der Vergangenheit viele multinationale Unternehmen in die Schweiz gekommen. Sie sehen diese Standortvorteile heute jedoch teilweise in Gefahr, wie die Befragung «Clarity on Business Location Switzerland» ergeben hat, die das Beratungsunternehmen KPMG in Zusammenarbeit mit dem IMD World Competitiveness Center, Switzerland Global Enterprise und der Swiss-American Chamber of Commerce bei mehr als 850 ausländisch beherrschten Unternehmen durchgeführt hat.

68% der Unternehmen sahen im attraktiven Steuersystem einen Ansiedlungsgrund

Multinationale Unternehmen sind im Umgang mit sich rapide verändernden Kundenbedürfnissen, Technologien, Regulierungen und der Globalisierung besonders gefordert. Sie analysieren ihre Wertschöpfungskette grundlegend und richten sie – je nach Bedarf – radikal neu aus. Der Schweiz ist es bisher sehr gut gelungen, wichtige Teile dieser Wertschöpfungsketten anzuziehen. Mit positiven Konsequenzen für Tausende von Zulieferfirmen, den Arbeitsmarkt und den Staat.

Die Entscheidung vieler multinationaler Unternehmen, ihre überregionalen Aktivitäten in der Schweiz anzusiedeln, ist untrennbar mit der Steuerplanung verbunden. So geben 68% der Unternehmen an, dass das attraktive Schweizer Steuersystem ein Ansiedlungsgrund ist. Die meisten befragten Unternehmen profitieren dabei von einem speziellen Steuerstatus. Zusätzlich unterliegen rund 40% der hierzulande angesiedelten multinationalen Unternehmen zumindest für einen Teil ihrer Einkünfte auch der ordentlichen Unternehmensbesteuerung.

58% glauben, dass das wettbewerbsfähige Steuersystem verloren gehen wird

Während die Bestrebungen zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) bei den multinationalen Unternehmen auf breite Anerkennung stossen, bezweifelt ein Teil, dass die Reformen effektiv umgesetzt werden. Bloss 42% der hier angesiedelten Firmen glauben, dass mittelfristig ein wettbewerbsfähiges Steuersystem noch zu den Hauptvorzügen der Schweiz zählen wird. 58% der Unternehmen sind vielmehr überzeugt, dass die Schweiz auch in Zukunft die immer restriktiveren internationalen Besteuerungsstandards der EU und der OECD wird übernehmen müssen.

Die Unternehmenssteuerreform III könnte scheitern

Mit der USR III sollen insbesondere die steuerlichen Sonderregime abgeschafft werden, welche Konzerne, die einen Grossteil ihrer Einnahmen im Ausland erwirtschaften, deutlich tiefer besteuern. Diese Unternehmen müssen künftig gleich behandelt werden wie alle anderen Firmen. Damit stehen über 5 Milliarden Franken an Steuereinnahmen von den rund 24‘000 Gesellschaften mit besonderem Steuerstatus in der Schweiz sowie rund 135‘000 bis 175‘000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Denn die grösste Konkurrenz bei der Besteuerung von Unternehmen in Europa stellt Irland dar: Mit dem ordentlichen Gewinnsteuersatz von 12.50% kann hierzulande lediglich der Kanton Luzern mithalten (12.32%). Die höchsten Steuersätze für Unternehmen werden in den Schweizer Kantonshauptorten Genf (24.16%) und Basel-Stadt (22.18%) erhoben. Ausserhalb Europas erweisen sich die beiden Finanzplätze Hongkong und Singapur als harte Konkurrenten. Mit durchschnittlichen Gewinnsteuersätzen von 16.50% bzw. 17% liegen sie klar unter dem gesamtschweizerischen Durchschnitt.

Der Reformkompromiss bei der Schweizer USR III sieht neue Ersatzmassnahmen vor, die auf alle Firmen anwendbar sein werden. Gewinne, die dank hauptsächlich im Inland getätigter Forschung und Entwicklung erarbeitet wurden, sollen in einer Patentbox geringer besteuert werden, und die steuerliche Behandlung von Eigenkapital soll derjenigen von Fremdkapital ähnlicher werden. Den Rest an Ausgleich, um steuerlich attraktiv zu bleiben, müssen die Kantone bewerkstelligen, indem sie den Satz der Unternehmenssteuer senken. Weil der Bund bisher besonders stark von den Steuern der mit Sonderregimen belegten Konzerne profitierte, belässt er den Kantonen künftig einen höheren Einnahmenanteil. Doch gegen den Reformkompromiss hat sich Widerstand formiert; das Referendumskomitee «Nein zur USR III» hat ein Referendum eingereicht. Die Volksabstimmung dürfte 2017 stattfinden.

60% erachten die hohen Lohnkosten als kritisch

Eine der grössten Herausforderungen für die Geschäftstätigkeit in der Schweiz ist das hohe Kostenniveau, wobei hier insbesondere die Arbeitskosten als problematisch erachtet werden. Rund 60% der multinationalen Unternehmen äussern sich diesbezüglich kritisch. Zwar bewegen sich die Löhne für Führungskräfte in der Schweiz auf ähnlichem Niveau wie bei international vergleichbaren Standortkonkurrenten. Doch die Vergütungen im mittleren Kader sind in den vergangenen Jahren gegenüber anderen Wirtschaftsstandorten stärker angestiegen als die Arbeitsproduktivität.

47% sind besorgt über die Auswirkungen des Wechselkurses

Verschärft wird diese Situation durch Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Kursentwicklung des starken Schweizer Frankens: 47% sind besorgt über die Auswirkungen des Wechselkurses, der die hiesige Wirtschaft belastet. Eine Rückkehr zur Anbindung des Schweizer Frankens an den Euro ist für die befragten Unternehmen jedoch keine Option.

53% fürchten die zunehmende Regulierung der Arbeitsverhältnisse

Das flexible Schweizer Arbeitsrecht ist ein sehr wichtiger Standortfaktor: Nahezu alle hier angesiedelten Unternehmen geben an, dass die Schweiz wesentlich flexiblere und wirtschaftsfreundlichere Arbeitsgesetze habe als alle anderen europäischen Länder. Doch nur 47% glauben, dass die Schweiz ihren Wettbewerbsvorteil in den nächsten drei Jahren behalten wird. Angesichts der kürzlich erfolgten Änderungen des Arbeitsrechts (etwa die Arbeitszeiterfassung) fürchten viele multinationale Unternehmen, dass dieser wichtige Standortvorteil in den kommenden Jahren verloren gehen wird. Fast 30% sind gar der Ansicht, dass die zunehmende Regulierung der Arbeitsverhältnisse die Geschäftstätigkeit in der Schweiz in Zukunft erschweren wird.

Fast 50% erwarten Probleme wegen Einschränkungen für ausländische Fachkräfte

Multinationale Unternehmen fürchten mit Blick auf die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative nicht nur die negativen Folgen einer Einschränkung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Sie sorgen sich auch um die Attraktivität der Schweiz für hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten. Ein besonderes Problem dabei ist die restriktive Bewilligungspraxis, da sich qualifizierten Fachkräften an anderen Wirtschaftsstandorten ebenso attraktive Berufsmöglichkeiten bieten. Der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften wird als wichtigste Voraussetzung angesehen, damit Unternehmen auf neue Rahmenbedingungen reagieren und ihre Wertschöpfungskette anpassen können.

Fast 50% der Führungskräfte sind überzeugt, dass neue arbeitsmarkttechnische Restriktionen für ausländische Fachkräfte die Unternehmen mittelfristig vor enorme Probleme stellen werden. Nur rund die Hälfte der angesiedelten Unternehmen erwartet, dass die Schweiz für Fachkräfte künftig ebenso attraktiv bleiben wird, wie sie es aktuell noch ist.

26% halten die durch Volksinitiativen verursachten Unsicherheiten für ein Problem

Jedes zweite, in der Schweiz angesiedelte multinationale Unternehmen ist der Meinung, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz auch in Zukunft stabil bleiben werden. 23% meinen, dass die Schweiz hinsichtlich Regulierungsrahmen vergleichsweise attraktiv bleiben wird. Allerdings hält rund ein Viertel (26%) die durch Volksinitiativen verursachten Unsicherheiten für ein Problem.

Unternehmen erwarten nicht, durch Schweizer Standort innovativer zu werden

Die Schweiz sieht sich zwar als weltweit etablierte Innovationsführerin. Die Innovationskraft ist aber nur für eine Minderheit der ausländischen Unternehmen ein entscheidendes Standortkriterium dafür, in der Schweiz neue Technologien zu entwickeln oder innovative Geschäftsmodelle einzuführen. Nur 44% glauben, dass ihre Unternehmen aufgrund des Standortes Schweiz innovativer werden. 35% sind der Meinung, dass sich die Schweiz in den kommenden Jahren durch ihre Innovationsfreundlichkeit von anderen Ländern abheben wird. Und lediglich 30% sehen in den hiesigen Universitäten und Hochschulen auch in Zukunft einen wesentlichen Standortvorteil.

Für 42% ist die zentrale geografische Lage ein Standortvorteil

Die hohe Lebensqualität und die herausragenden Infrastrukturen sind zwei weitere wichtige Vorzüge, welche die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb auszeichnen. Für 42% der Befragten ist auch die zentrale geografische Lage ein Standortvorteil. Dabei siedeln sich multinationale Unternehmen in der Schweiz vorwiegend in der Nähe zu ihren Mitbewerbern sowie in unmittelbarer Nähe zu den internationalen Flughäfen an.

75% der Multinationals gehören zu Konzernen aus Nordamerika und Europa

Nordamerika und Europa sind die beiden wichtigsten Herkunftsregionen der Unternehmen, die in der Schweiz Tochtergesellschaften gegründet haben: Fast 75% dieser Gesellschaften gehören zu Konzernen aus diesen beiden Weltregionen. Auch Japan investiert seit vielen Jahren stark in der Schweiz – dicht gefolgt von China, wobei die chinesische Präsenz vor allem durch Übernahmen wächst.

Die meisten multinationalen Konzerne, die mit einer Ansiedlung in der Schweiz investieren, stammen aus der Industrie- und der Life-Science-Branche (Pharma, Biotech und Medtech). Als führender Rohstoffhandelsplatz zieht die Schweiz seit langem auch bedeutende Investitionen der grossen Akteure im Rohstoffsektor an.

75% eröffnen in der Schweiz regionale Hauptsitze

Dabei siedeln die Konzerne ihre ertragsstärksten Einheiten und Vermögenswerte in der Schweiz an: 75% eröffnen hierzulande regionale Hauptsitze, rund ein Viertel (26%) betreibt Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und 23% betreiben in der Schweiz Produktionsstätten.

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