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Der Brexit könnte für Schweizer Versicherer eine Chance sein

Montag, 18.07.2016

Das Versicherungsgeschäft ist um vieles komplexer als Banking, sagt eine Branchenexpertin. Deshalb wird die Beratung, insbesondere im Bereich Vorsorge, immer wichtig sein. Wie diese im Digitalzeitalter aussehen soll, ist noch offen.

Digitalisierung ist seit Jahren ein Trend. Beim Stand der Digitalisierung sind die Banken den Versicherern jedoch weit voraus. Online-Banking ist heute ein Standard; die Kunden können ihre Transaktionen kontrollieren oder auslösen – etwas Ähnliches gebe es bei den Versicherungen nicht, wie Pia Tischhauser, Leiterin der globalen Versicherungsberatung und Mitglied des Executive Committee bei Boston Consulting Group im Interview gegenüber der «Handelszeitung» erklärt. 

Der Schweizer Kunde will beraten sein

Hinzu komme, dass Versicherungsprodukte in der Schweiz immer noch starke Beratungsprodukte seien, wie Tischhauser weiter erläutert. Zwar informierten sich 65% der Schweizer online über Versicherungspolicen. Davon gehe dann ein Grossteil zum Aussendienstmitarbeiter und verlange eine Offerte, für die man auch zahle.

Noch vor eineinhalb Jahren hätten nur gerade 5% der Kunden eine einfache standardisierte Versicherung gekauft. Heute seien es bereits 11%. «Der Kunde will gar nicht online einkaufen. Im Ausland ist das anders: In den USA oder in England werden 70% der Motorfahrzeugversicherungen online abgeschlossen», weiss Tischhauser. 

Im Bereich Vorsorge wird die Beratung immer wichtig sein

Insbesondere im Bereich Vorsorge werde die Beratung immer wichtig sein, ergänzt Tischhauser. «Wie diese in einer transparenten Welt, in der die Kunden online Informationen jederzeit zur Verfügung haben, optimal eingesetzt werden kann, wird die Zukunft weisen», so ihr Fazit. Heute werde immer noch viel manuelle Arbeit erledigt.

Schweizer Kunden wechseln den Anbieter nur selten

Laut Tischhauser zahlt sich die Digitalisierung grundsätzlich aus. Das zeigten Grossbritannien oder die USA mit dem Autoversicherer Geico. In der Schweiz hingegen erwartet Tischhauser keine allzu grossen Verschiebungen von Marktanteilen, denn die Kundschaft wechsle den Anbieter nur selten. «Der Markt ist träge. Pro Jahr bleiben 95-97% der Kunden ihrer Versicherung treu. Das ist international ein sehr hoher Wert», so Tischhauser. Nur im Schadenfall, wenn es Diskussionen über die Kulanz gebe, überlege sich ein Schweizer, ob er wechseln solle.

Beginnen die Kunden zu shoppen, treibt das die Preise in die Höhe

Kein Anbieter wolle mit Online-Angeboten seinen Aussendienst kannibalisieren, nennt Tischhauser als Grund für die Trägheit des Schweizer Versicherungsmarktes. Das sehe man daran, dass diverse Versicherer zwar Online-Angebote hätten, diese aber nicht sehr aktiv bewerben würden. «Ich sehe niemanden, der mit digitalen Angeboten den Markt unter Druck setzen will. Zudem riskiert er die eigene Marge, denn am teuersten ist die Akquisition von Neukunden», erklärt Tischhauser.

Würden Kunden zu shoppen beginnen, treibe das die Kosten in die Höhe. Daran habe niemand Interesse. Am meisten schaden würde das allen Versicherungskunden – dann müsste man für diese Mehrkosten aufkommen. Tischhauser hofft, dass dies nicht eintreffen wird.

Um attraktiv zu bleiben, muss investiert werden

Das Schweizer Geschäft sei für die meisten Anbieter nach wie vor profitabel. Doch um auch in kommenden Jahren attraktive Produkte zu fairen Preisen anbieten zu können, müsste mehr investiert werden, mahnt Tischhauser. Zentral ist für sie, nicht den ganzen Gewinn an die Shareholder auszuschütten, sondern frühzeitig in die IT und die Verbesserung der Prozesse zu investieren.

Der Brexit könnte eine Chance sein

Auch der Brexit könnte eine Chance sein, sagt Tischhauser. Er wühle die Versicherungsbranche auf und betreffe Grossbritannien, die Europäische Union und die Schweizer Versicherer. «London ist der grösste Versicherungs-Hub weltweit, das strahlt aus», so Tischhauser. Oft würden Schweizer Versicherer im Wettbewerb mit Konzernen wie Prudential, RSA oder Aviva stehen, die in Grossbritannien beheimatet seien. Tischhauser hofft, dass man den Brexit in der Schweiz als Chance sieht und aktiv in der Konsolidierung mitspielt.

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