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Das Negativzinsumfeld erhöht den Druck auf das Schweizer Vorsorgesystem

Samstag, 07.03.2015

Die Erhöhung der Negativzinsen durch die Schweizerische Nationalbank und deren Umwälzung auf Bankkunden wird zur Belastung für die Realwirtschaft. Sie haben u.a. gravierende Auswirkungen auf das schweizerische Vorsorgesystem.

Seit die Schweizerische Nationalbank (SNB) am 15. Januar 2015 die Euro-Franken-Untergrenze aufgehoben und den Negativzins weiter gesenkt hat, steht die Zinswelt in der Schweiz Kopf. Mit der Freigabe des Frankenwechselkurses zum Euro hat die SNB ihr Ziel für den Dreimonats-Libor-Zinssatz um weitere 50 Basispunkte auf -0.75% gesenkt. Unmittelbar darauf fiel für Schweizer Staatsanleihen bis zu einer Laufzeit von 16 Jahren praktisch die gesamte Zinskurve deutlich in den negativen Bereich.

Die Effekte von Frankenaufwertung und Negativzinsen auf Preisentwicklung und Konjunktur sind komplex und es gibt kaum relevante Präzedenzfälle. Die Belastungen für die Exportwirtschaft und den Tourismus, die sich aus der Aufgabe des Mindestkursziels ergeben hätten, seien enorm, erklärt etwa Lukas Gähwiler, Chef UBS Schweiz. Man müsse sich aber vor Augen halten, dass die Folgen des Negativzinsumfeldes langfristig und gesamtwirtschaftlich mindestens so schwer wiegen würden oder sogar noch gravierender ausfallen können, ist er überzeugt. Entsprechend hat das Team um Daniel Kalt, den Chefökonomen von UBS Schweiz, die möglichen Auswirkungen für verschiedene Zins-Szenarien analysiert.

Die sehr tiefen Zinsen bleiben noch längere Zeit erhalten

Gemäss dieser Analyse bleiben die Zinsen noch lange sehr tief. Das würde zum Teil zu noch deutlich negativeren Zinsen sowie einem markanten Einbruch des realen Wirtschaftswachstums unter das Potenzial von +1.5% führen. Selbst in einem mittleren Szenario gehen die UBS-Ökonomen davon aus, dass die kurz- und mittelfristigen Zinsen in der Schweiz bis 2017 im negativen Bereich verharren. Tiefe Zinsen verteuern den Faktor Arbeit relativ zum Faktor Kapital und führen in Kombination mit dem starken Schweizer Franken zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit, vor allem bei tieferqualifizierten Arbeitskräften.

Im Bankensektor schlummern Zinsrisiken in Milliardenhöhe

Für den Bankensektor insgesamt dürften sich die direkten Kosten durch die negativ verzinsten Sichteinlagen bei der SNB bis auf 1 Milliarde Franken belaufen. Sollten sich die Banken auf breiter Basis zur Weitergabe der Negativzinsen an ihre Einlagenkunden gezwungen sehen, könnte dies zu einer deutlichen Zunahme der Bargeldhaltung führen.

Banken könnten kumuliert über 30 Milliarden Franken an Zinserträgen einbüssen

Die UBS-Ökonomen schätzen die indirekten Belastungen des Negativzinsumfeldes zudem als risikoreich ein. Die extrem tiefen Zinsen führten zu einer Erosion der Zinsmargen, eine der Hauptertragsquellen vieler Banken, und sie erhöhten die Risiken für beträchtliche Verluste bei einem künftigen, starken Zinsanstieg, so die Ökonomen. Bei einem Zinsschock von ähnlichem Ausmass wie Ende der Achtziger Jahre könnten die Schweizer Banken gemäss UBS-Analyse über die kommenden zehn Jahre kumuliert über 30 Milliarden Franken an Zinserträgen einbüssen.

Versicherungen könnten verstärkt auf dem Hypothekarmarkt aktiv werden

Auf der Suche nach Rendite könnten Versicherungen zudem verstärkt auf dem Hypothekarmarkt aktiv werden. Insgesamt dürfte das Negativzinsumfeld in Kombination mit dem bereits bestehenden Regulierungsdruck das Konsolidierungstempo im Bankensektor weiter erhöhen.

Vielen Pensionskassen droht eine Unterdeckung

Im Vorsorgesystem dürften bei anhaltenden Negativzinsen viele Pensionskassen noch stärker in Unterdeckung geraten, so die Ökonomen weiter. Dies auch, weil die Anlagerichtlinien in der zweiten Säule es nur beschränkt erlaubten, vermehrt in Anlagen mit höheren Renditechancen zu investieren. Falls tiefe oder gar negative Zinsen länger Bestand haben sollten, könne es gesetzlich erlaubt werden, dass Pensionskassen die Beitragssätze der Erwerbstätigen erhöhen, um die Finanzierung der versprochenen Renten zu ermöglichen. Dies würde zu einer verstärkten Umverteilung zwischen Erwerbstätigen und Rentnern führen und zudem die Unternehmen durch höhere Personalkosten belasten.

AHV-Ausgleichsfonds könnte schon 2024 aufgebraucht sein

Eine massvolle Reduktion des gesetzlichen Umwandlungssatzes erscheint den Ökonomen vor diesem Hintergrund dringlicher denn je. In der 1. Säule bedeute eine tiefere Verzinsung eine starke Ausweitung der AHV-Finanzierungslücke, die schon vor Einführung der Negativzinsen bei über 1 000 Milliarden Franken gelegen habe. In einem Szenario mit niedrigen Zinsen und schwachen Aktienmärkten könnte der AHV-Ausgleichsfonds gemäss Berechnungen der UBS-Ökonomen schon 2024 aufgebraucht zu sein. Hingegen zeichne sich für ein Szenario mit höheren Zinsen und einer positiven Aktienmarktentwicklung ab, dass der AHV-Ausgleichsfonds noch bis 2028 ausreichen könnte, um die Ausgabenüberschüsse in der ersten Säule zu finanzieren.

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