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Beinahe die Hälfte der Schweizer Versicherer könnte bis 2030 aus dem Markt gedrängt werden

Freitag, 17.06.2016

Die Versicherungsbranche steht vor einem radikalen Umbruch: Bis 2030 werden „höchstwahrscheinlich“ 45% der Schweizer Versicherer aus dem Markt verschwinden. Setzen sich die disruptiven Trends fort, sind es bis zu 70%, sagt eine Studie.

Die Schweizer Versicherer blicken zu optimistisch in die Zukunft, ihre aktuellen Wachstumsprognosen (im Schnitt jährlich 5%) liegen weit über der zu erwartenden Marktentwicklung. Tatsächlich sind die Wachstumsmöglichkeiten beschränkt, selbst ein Rückgang des Volumens ist denkbar. Zu diesem Resultat kommt eine aktuelle Versicherungsstudie von Ernst & Young (EY).

Versicherungsmarkt stagniert

Mehrere Treiber hemmen das Marktwachstum für Versicherungen: «Der starke Franken verhindert, dass das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz wächst», sagt Yamin Gröninger, Director bei EY Financial Services Schweiz und Studienleiterin. Gleichzeitig reduzieren sich die Haushaltsvermögen gemäss einer Prognose von EY bis 2018 um 0.1%. «Dies dämpft die Nachfrage nach Versicherungsprodukten weiter. Hinzu kommt, dass sich die Zunahme der Schweizer Wohnbevölkerung, bis anhin ein wichtiger Wachstumstreiber der Branche, durch die Masseneinwanderungsinitiative höchstwahrscheinlich abschwächen wird», so Gröninger.

Kosten steigen während Einnahmen sinken

Diverse politische Vorstösse, wie die «Altersvorsorge 2020», drohen die Marktentwicklung zu bremsen, während neue Regulierungen wie Solvency II, Swiss Solvency Test oder der Common Reporting Standard für steigende Kosten sorgen. Die Negativzinsen stellen gerade für Lebensversicherer eine ernsthafte Gefahr dar. Das Niedrigzinsumfeld wird Prognosen zufolge noch länger anhalten: So weisen auch die Franken-Swapsätze bis zu einer Laufzeit von zehn Jahren negative Werte auf.

«Bereits heute ist der Schweizer Versicherungsmarkt gesättigt. Die Versicherungsausgaben in der Schweiz belaufen sich auf 7‘267 Schweizer Franken pro Haushalt und Jahr, was 11% des Einkommens entspricht», wie EY deklariert. Weltweit liegen die Ausgaben nur in Luxemburg höher.

Auch Schweizer Konsumenten werden in Zukunft vermehrt versuchen, die Ausgaben für ihren Versicherungsschutz zu optimieren, ist Gröninger überzeugt. Unterstützt werden sie dabei von neuen, technologie- und datengetriebenen Geschäftsmodellen auf Seite der Versicherungen, die Kunden situativ relevante und gezieltere Angebote unterbreiten und Technologien, welche die Preistransparenz im Markt erhöhen.

Verschärfter Wettbewerb führt zu Marktkonsolidierung

Die Diskrepanz zwischen der prognostizierten Marktentwicklung einerseits und den Unternehmenszielen andererseits wird gemäss EY zu weitreichenden Umwälzungen führen. Um profitabel zu wachsen, würden die Schweizer Versicherer gezwungen sein, sich mit Konkurrenten zusammenzuschliessen oder diese aus dem Markt zu drängen. Der verschärfte Wettbewerb lasse erwarten, dass bis ins Jahr 2030 rund 45% der Schweizer Versicherer ihr Geschäft aufgeben müssten, so das durch die Studie von EY ermittelte Szenario.

Gleichzeitig drängten neue Anbieter in den Schweizer Markt, wodurch weitere Unternehmen bedroht würden. InsurTechs und branchenfremde Grosskonzerne haben gemäss EY das Potenzial, erhebliche Marktanteile zu gewinnen. Bis 2030 sei es daher denkbar, dass bestehende und neue Konkurrenten gemeinsam bis zu 70% der bisherigen Versicherungsunternehmen verdrängten. «Diese Entwicklung ist durchaus wahrscheinlich, das hat sich in anderen Branchen gezeigt», sagt Achim Bauer, Insurance Leader EY Schweiz. Er nennt Beispiele dafür: Als die Umsätze im Mobiltelefonmarkt stagnierten, traten neue Konkurrenten auf, mit dem Resultat, dass sich sämtliche der zuvor führenden Hersteller zurückziehen mussten. Den gleichen Umbruch hat die Reiseindustrie durchlebt, wo Online-Plattformen die traditionellen Reiseagenturen aus dem Markt gedrängt haben. «Vergleichbare Veränderungen stehen dem Versicherungsmarkt bevor», so Bauer.

Digitalisierung birgt Chancen und Risiken

Die Digitalisierung hat den Versicherungsmarkt erfasst. Die neuen Technologien haben die Position der Konsumenten sprunghaft verbessert, mit spürbaren Folgen: Das Preisbewusstsein steigt, die Loyalität nimmt ab. Dadurch entwickelt sich das Versicherungsgeschäft zu einem Consumer-to-Business-Modell (C2B), wie EY aufzeigt. «Kundennähe, genaue Kenntnisse und schnelles Adressieren der Bedürfnisse werden zu Kernkompetenzen», sagt Gröninger. «Wer den Trend verpasst, gerät in ernsthafte Schwierigkeiten, während sich neuen Anbietern dadurch Chancen eröffnen.»

InsurTechs brechen Wertschöpfungskette auf

Bereits haben sich InsurTechs etabliert, welche die traditionellen Geschäftsmodelle in Frage stellen und die Wertschöpfungskette aufbrechen. Schon heute sorgen sie für mehr Wettbewerb und für tiefere Preise.

«Noch stärker vermögen branchenfremde Konzerne in den Versicherungsmarkt einzugreifen. In fast allen Geschäftsbereichen gibt es mindestens einen Anbieter, der die Versicherungskunden besser kennt als die Versicherer selbst», so Gröninger weiter. «Entsprechend gross ist das Risiko für traditionelle Anbieter, den Zugang zu den eigenen Kunden zu verlieren». Ein Beispiel dafür seien Motorfahrzeugversicherungen, hier wüssten die Autohersteller viel genauer über die Bedürfnisse der Kunden Bescheid.

Versicherer müssen Strategien überdenken

Angesichts der Umwälzungen stehen den Schweizer Versicherern gemäss EY verschiedene Optionen offen: Sie können konsequent auf Skalierbarkeit setzen, um ihre Effizienz zu steigern und Preisvorteile zu generieren. Sie können Partnerschaften mit InsurTechs eingehen und deren Innovationspotenzial nutzen. Sie können massgeschneiderte persönliche Services anbieten, bei denen digitale Wettbewerber nicht mithalten können. Oder sie beschränken sich darauf, als Zulieferer für einen branchenfremden Konzern zu agieren.

Unabhängig von der gewählten Stossrichtung: «Zentral ist, dass die Versicherer jetzt energisch handeln. Nun ist der letzte Moment, die Strategien zu überdenken und Klarheit über die eigenen Stärken zu gewinnen. Auf diese Kompetenzen sind sämtliche Aktivitäten zu fokussieren», so Bauer.

Die Schweizer Versicherer müssten auch risikobewusst entscheiden, wie radikal sie die Veränderung anstreben wollten. «Eine evolvierende Strategie führt zum vorübergehenden Überleben des Umbruchs, während eine grundlegende strategische Neuorientierung langfristige Wettbewerbsvorteile sicherstellt».

Über die Studie

Die vorliegende Studie wurde von Analysten und Branchenexperten von EY auf Basis wissenschaftlicher Methodik durchgeführt. Grosse Datenmengen sind ausgewertet worden, darunter makroökonomische und demografische Kennzahlen wie auch Geschäftsberichte und Investorenpräsentationen der Versicherer. Zudem sind eigene Modellierungen sowie Erkenntnisse aus zahlreichen nationalen und internationalen Mandaten für Versicherungsunternehmen eingeflossen.

Die Studie deckt die Bereiche Leben, Nicht-Leben und Krankenversicherung ab; der Rückversicherungsmarkt wurde ausgeschlossen. Auf segmentspezifische Analysen wird verzichtet, vielmehr konzentriert sich die Untersuchung auf Veränderungen und Bedrohungen, denen sich alle Versicherer stellen müssen.

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