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Aufgabe der Euro-Untergrenze stellt Versicherer vor neue Herausforderungen

Dienstag, 27.01.2015

Die Versicherungstitel haben sich von den Marktturbulenzen als Folge der Aufhebung des Euro-Mindestkurses zwar wieder erholt. Die neuen Marktbedingungen sind jedoch eine Herausforderung für das derzeitige Geschäftsmodell des Wirtschaftszweiges.

Die Folgen des Entscheids der Schweizerischen Nationalbank (SNB), den Franken-Mindestkurs gegenüber dem Euro aufzuheben, sind für die Versicherungsbranche insofern entscheidend, als dies ihre Solvenz bzw. ihre Fähigkeit, ihren Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nachzukommen, betrifft. Während die schweizerischen Pensionskassen heute deutlich weniger Vermögen halten, als sie ihren Mitgliedern versprochen haben – so der jüngste Bericht von Towers Watson – verlangt die eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA von den Versicherungsgesellschaften eine Kapitaldeckung, mit der sie auch im Fall einer Jahrhundertkrise allen finanziellen Verpflichtungen nachkommen können. Dies können etwa ein Börsenkrach oder Naturkatastrophen wie Überflutungen oder Erdbeben sein.

Den jüngsten Statistiken der FINMA zufolge beläuft sich die Kapitalquote der Versicherungsbranche auf 190%. Das Überschusskapital beträgt also knapp das Doppelte der Mittel, die sie benötigen würde, um ein Jahrhundertereignis zu überstehen und alle fälligen Rückzahlungen zu leisten. Zu diesem Schluss kommt das Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY) in einer entsprechenden Stellungnahme.

Kapitalisierung der Versicherer ist um bis zu 10% zurückgegangen

Die Auswirkungen aufgrund der Aufwertung des Frankens, von Kursverlusten am Schweizer Aktienmarkt sowie durch den Rückgang der Schweizer Zinssätze infolge der Aufhebung des Euro-Mindestkurses haben die Kapitalisierung der Schweizer Versicherer nach Berechnungen von Ernst & Young um bis zu 10 Prozentpunkte gesenkt (also von 190% auf rund 180%). Dabei sollen die Auswirkungen der SNB-Entscheidung weniger gewichtig ausfallen als die Zinssenkungen aus dem Jahr 2014. Dies gelte insbesondere für Versicherer, die stark im Schweizer Lebengeschäft engagiert seien.

Mindestzinssatz muss den neuen Anlagebedingungen angepasst werden

Laut Andrew Gallacher, Leiter des Beratungsgeschäfts von EY für Versicherungen in der Schweiz, ist die nach wie vor hohe Kapitalisierung der Schweizer Assekuranz der wirksamen Bilanzabsicherung zu verdanken, die in den letzten zehn Jahren aufgrund des Swiss Solvency Tests der FINMA eingeführt worden ist. Als Nachteil der engen Verknüpfung der Aktiven mit den Passiven erweise sich hingegen das begrenzte Aufwärtspotenzial der Anlageperformance, zumal die Zinsen am langen Ende derzeit nahe null lägen.

Das niedrige Zinsniveau stelle das Schweizerische Gruppenversicherungsgeschäft (BVG) angesichts des gesetzlichen Mindestsatzes von gegenwärtig 1,75% vor besondere Probleme. Wenn die Versicherungsbranche ihre Funktion als Anbieter von Vollversicherungen ohne die beträchtliche Gefahr einer Unterdeckung, die bei traditionellen Pensionskassen bestehe, weiter wahrnehmen solle, müsse der Mindestsatz den neuen Anlagebedingungen in der Schweiz angepasst werden, so Gallacher weiter.

Neugelder und Dividendenausschüttungen dürften stark schrumpfen

Die übrigen finanziellen Konsequenzen unterscheiden sich gemäss E&Y kaum von den Folgen in anderen Wirtschaftszweigen, wo Ertragsrechnung und Bilanz nunmehr weniger deutlich von den Ergebnissen der ausländischen Tochtergesellschaften beeinflusst werden.

So seien Umsatzwachstum und Nettoerträge in Schweizer Franken jetzt zwar limitiert – E&Y rechnet, ohne Hedging, mit einem Gewinnrückgang von bis zu 1 Milliarde Schweizer Franken in der Branche. Noch stärker schrumpfen würden aber wohl Neugelder und Dividendenausschüttungen, insbesondere bei Firmen mit einem grossen Auslandsgeschäft.

Viele Versicherer verfügten über ein ausreichendes Hedging für die kurzfristigen Kursverluste. Dies werde ihnen gestatten, ihre Dividenden in Schweizer Franken aufrechtzuerhalten und damit  sogar für ausländische Investoren Mehrwert zu schaffen. Langfristig jedoch würden Wechselkurse auf dem gegenwärtigen Niveau Druck ausüben auf Dividenden in Schweizer Franken.

Angelegte Gelder werfen keinen angemessenen Ertrag für die Versicherten ab

Sollte der Schweizer Franken längere Zeit auf dem gegenwärtigen Niveau verharren, könnte das Folgen für die Versicherer haben, ist E&Y überzeugt. Wie eingangs erwähnt, würden die angelegten Gelder wohl keinen angemessenen Ertrag für die Versicherten abwerfen. Dazu komme das Risiko der zusätzlichen Investitionen in den schweizerischen Immobilienmarkt, der kurzfristig eine Hausse verzeichnen werde. Solche Anlagen seien riskant, weil der Exportrückgang nicht nur die Wirtschaft des Landes, sondern mittelfristig vermutlich auch die Immobilienpreise in Mitleidenschaft ziehe.

Angesichts der niedrigen Zinsen (null) haben Lebensversicherer Schwierigkeiten, ihren Kunden attraktive Produkte anzubieten. Daraufhin könnten sich die Kunden in sichere Häfen und langfristige Garantien flüchten wie so oft nach Einbrüchen in dem Ausmass, welches wir infolge der Aufhebung des Mindestkurses beobachtet haben. Es bleibt abzuwarten, ob Versicherungskunden Nullzinsen wirklich für die wertvolle Garantie halten, die sie derzeit sind.

Geschäftsmodelle müssen überprüft werden

Schliesslich dürften Kosteneinsparungen und die laufenden Überprüfungen von Shared Services, Outsourcing und Off-Shoring auf der Agenda der Schweizer Assekuranz immer höher rücken. Die Aufgabe des Mindestkurses gegenüber dem Euro, der mittelfristig wohl nicht erstarken werde, sollte bei vielen schweizerischen Versicherungsunternehmen umfassendere Änderungen nach sich ziehen, so die Unternehmensberater.

Viele Unternehmen in vielen Branchen in der Schweiz müssten sich heute Fragen stellen. Versicherungsgesellschaften würden dabei keine Ausnahme bilden. Ihre finanzielle Sicherheit stehe dank den strengen Anforderungen der FINMA und im Gegensatz zu Pensionskassen jedoch nicht auf dem Spiel, so Achim Bauer, Leader Performance Improvement Financial Services.

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