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«Anleger sehen die Entwicklung der Weltwirtschaft zu pessimistisch»

Freitag, 03.06.2016

Die Schweizer Wirtschaft dürfte sich 2016 stabilisieren, wie die Privatbank Pictet annimmt. Weiter aufwärts soll es auch mit den USA und Europa gehen. Das hat Auswirkungen auf die Zinspolitik, weshalb Festverzinsliche „ausgereizt sind“.

Nach dem Franken-Schock von Januar 2015 dürfte die Schweiz ein Wirtschaftswachstum von geschätzten 1.1% in diesem und von 1.5% im nächsten Jahr erreichen, wie Pictet Chefanalytiker Alfred Roelli anlässlich des halbjährlichen Anlage-Ausblicks erklärt. Besser noch schätzt er die Lage für die USA und für Europa ein: Dort rechnet Roelli für 2016 mit jeweils 1.8% Wirtschaftswachstum. Denn die USA schafften weiterhin kontinuierlich neue Arbeitsplätze und der Konsum steige nachhaltig.

US-Zinserhöhung erfolgt wahrscheinlich im September

Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen schliesst der Offenmarktausschuss der US-Zentralbank Fed (FOMC) eine Zinserhöhung im Juni nicht mehr aus. «Da am 23. Juni, also nur eine Woche nach der FOMC-Sitzung, das Brexit-Referendum in Grossbritannien stattfindet, ist es aber wahrscheinlicher, dass das FOMC im Juni abwartet und die Zinsen 2016 nur noch einmal, voraussichtlich im September, anhebt», sagt Roelli.

EZB-Zinspolitik bleibt expansiv, Fiskalpolitik wird gelockert

Anders sieht Roelli die Zentralbankpolitik in Europa. In der Eurozone führe die Kombination von EZB-Chef Draghis expansiver Geldpolitik und der zunehmend lockeren europäischen Fiskalpolitik bzw. der Abkehr von der strikten Sparpolitik zu Wachstum. Sogar Finanzminister Wolfgang Schäuble spreche mittlerweile von Steuersenkungen, betont Roelli. So werde der Euroraum 2016 erstmals seit der Lehman-Krise 2008 wieder ein geschätztes strukturelles Primärdefizit von 0.5% ausweisen. «Auffallend ist dabei nicht die Grösse dieses Defizits, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der dieses hingenommen wird», so Roelli.

USA und China bilden Schwungrad der Weltwirtschaft

Das „Schwungrad“ der Weltwirtschaft bilden laut Roelli jedoch China und die USA. Sie machten zusammen bereits seit einigen Jahren etwa 50% des Weltwachstums aus (in absoluten Beträgen). China befindet sich nach Ansicht von Roelli in einer Übergangsphase zu einem neuen Wirtschaftsmodell. Die jüngsten Daten für China unterstützten ihre Einschätzung, dass eine harte Landung vermieden werden könne. Die Behörden hätten die richtigen Entscheidungen getroffen, um den Renminbi zu stabilisieren, ist Roelli überzeugt. Die Kapitalabflüsse aus China seien jetzt rückläufig, blieben aber relativ hoch. Als weiteren positiven Faktor für China wertet Roelli, dass die Unternehmensergebnisse die Erwartungen jüngst übertroffen hätten.

Schocks an den Finanzmärkten werden nicht ausbleiben

Die Politik der Zentralbanken ist für die Stabilität der Märkte zentral. Eine Normalisierung des Zusammenspiels von Geld- und Fiskalpolitik ist gemäss Roelli allerdings überfällig. Anzeichen für einen Beginn solcher Prozesse gebe es nun aber auch in der Eurozone. Der Übergang werde indes nicht ohne Schocks an den Finanzmärkten ablaufen, warnt Roelli.

Dennoch scheint Pictet die Wahrnehmung der Entwicklung der Weltwirtschaft von Seiten der Anleger zu pessimistisch. Gerade beim Einfluss der niedrigeren Rohstoffpreise auf die Weltwirtschaft gelte es, kurz- und langfristige Effekte zu unterscheiden, wie Roelli erläutert: Niedrige Rohstoffpreise führten kurzfristig in vielen Sektoren zu Einbrüchen bei Anlage-Investitionen und zu schwächerem Wachstum. Doch bereits etwa 18 Monate nach dem Beginn der Korrektur zeigten sich die positiven Effekte auf die Nachfrage. Dieser Zeitpunkt stehe jetzt unmittelbar bevor.

Ziel der Notenbanken ist eine Re-Inflationierung

Pictet geht von einem anhaltenden weltweiten Sparüberschuss aus, der von der Demographie, der Verschuldung sowie der Notenbankpolitik getrieben ist. Ziel der Notenbanken sei eine Re-Inflationierung. Da diese aber bis jetzt noch nicht auf breiter Front erkennbar sei, würden die Warnsignale missachtet. Ausgehend von den USA, könne es dann sehr schnell gehen, schiebt Roelli nach, und plötzlich steht die Zahl 4% im Raum.

Festverzinsliche bleiben strukturell unter Druck

Laut Roelli sind wir mit einer Situation konfrontiert, die das Spiegelbild der späten 1970er Jahre ist. Damals habe vorerst niemand an den Erfolg der (von Paul Volcker initiierten) Kriegserklärung an die Inflation geglaubt, dem sich innerhalb von wenigen Jahren sämtliche Notenbanker angeschlossen hätten. Es habe einige Jahre gedauert, bis die Glaubwürdigkeit der Notenbanken etabliert gewesen sei. «Festverzinsliche haben somit wenig Potenzial und ihr Risiko wird unterschätzt», sagt Roelli. Festverzinsliche sind seiner Meinung nach ausgereizt und bleiben strukturell unter Druck.

Realwerte bilden den Kern eines diversifizierten Portefeuilles

Vor diesem Hintergrund bilden für Pictet Realwerte wie Aktien, Private Equity und Immobilien den Kern eines diversifizierten Privatkunden-Portefeuilles. Die Korrektur am Aktienmarkt der ersten Jahreshälfte 2016 sieht Roelli als vorübergehende Schwankung im Rahmen eines tendenziell längerfristigen Aufwärtstrends.

Bedeutung von Dividenden wird oft unterschätzt

Um den Einfluss weiterer zu erwartender Korrekturen abzudämpfen, hat Pictet jüngst in allen Portefeuilles Absicherungen eingebaut. Abschliessend verweist die Privatbank auf die oft unterschätzte Bedeutung von Dividenden für den Anleger, insbesondere für den Schweizer Anleger. Schweizer Aktien böten die weltweit bestfinanzierten Dividenden und den höchsten Aufschlag gegenüber Festverzinslichen.

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