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Altersvorsorge 2020: «Der Bundesrat führt das Parlament an der Nase herum»

Dienstag, 27.06.2017

Punkto Kosten für die Rentenreform führe der Bundesrat «Zahlenakrobatik» vor, sagt Martin Kaiser vom SAV. Aus 6 Mia. zur Kompensation der Übergangsgeneration drohten nun 12 Mia. Franken zu werden. Das rieche nach einem «Politskandal».

Der Bundesrat sei ursprünglich angetreten, um mit einer echten Reform der Altersvorsorge die Renten auch künftig auf heutigem Niveau zu sichern und die Finanzierung der ersten und zweiten Säule trotz der demografischen Alterung zu garantieren, schreibt Martin Kaiser vom Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) auf deren Webseite. Im August 2015 habe eine Koalition aus SP und CVP im Hinterzimmer des Ständerats eine Vorlage linken Zuschnitts gezimmert, die sie bis heute als Kompromiss verkaufe – wie Ständerat Hans Stöckli in der Sendung «Arena» vom 23. Juni 2017 freimütig zugegeben habe. Die berechtigten Ziele des Bundesrats seien damit über Bord geworfen und ein Rentenausbau in der AHV mit der Giesskanne beschlossen worden, wettert Kaiser. Alle Neurentner sollten künftig 70 Franken mehr AHV pro Monat erhalten und die Neurentnerehepaare mit Maximalrente eine um 5% höhere Ehepaarrente.

Mitte-Links-Mehrheit hat sich in Einigungskonferenz durchgesetzt

Geschickt hätten Exponenten beider Parteien die Interessen ihrer beiden damals hängigen und mittlerweile verworfenen Volksinitiativen verbunden. Die CVP habe die Heiratsstrafe abschaffen und dabei die Ehepaarrenten erhöhen wollen, während die SP mit «AHVplus» einen generellen AHV-Ausbau angepeilt habe. Der Rest sei Geschichte: So habe sich der federführende Bundesrat vom gewissenhaften Staatsdiener zum Parteisoldaten gewandelt, habe die hehren Reformziele über den Haufen geworfen und habe künftig durch alle Böden den so genannten Kompromiss vertreten, der in Tat und Wahrheit nie einer war. Die Mitte-Links-Mehrheit im Ständerat habe fortan die Verhandlungsbereitschaft verweigert – im Wissen um die Mehrheitsverhältnisse im Parlament. So seien sie kompromisslos durch alle politischen Etappen marschiert und hätten sich in einer denkwürdigen Einigungskonferenz mit 14 zu 12 Stimmen durchgesetzt.

Befürchtungen zu den Kosten der Reform haben sich bestätigt

Alle Versuche, die Reform wieder auf die ursprüngliche zielführende Spur der nachhaltigen Sicherung der Renten zurückzuführen, seien abgeblockt worden. Wer es gewagt habe, wohl begründet die bundesrätliche Zahlenakrobatik zu den schwindelerregenden Kosten des AHV-Ausbaus und des ständerätlichen Kompensationsmodells zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes in Frage zu stellen, sei schonungslos als unseriös diffamiert worden. Doch nun hätten sich die Befürchtungen bestätigt: Wie die «Neue Zürcher Zeitung» schreibe, führe nicht nur der Giesskannenausbau von 70 Franken für Neurentner – egal ob arm oder reich – die AHV ins finanzielle Desaster; auch die Kompensation zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes werde zum Fass ohne Boden.

EL-Revision führt zu Verteuerung der Kompensation der Übergangsgeneration

Sträflicherweise sei nämlich vergessen gegangen, im Rahmen der Bundesratsvorlage zur Revision der Ergänzungsleistungen zu erwähnen, dass diese durch das Verbot des Kapitalbezugs der obligatorischen Leistungen der beruflichen Vorsorge zu einer massiven Verteuerung der Kompensation der Übergangsgeneration führe – um 200 Millionen Franken pro Jahr, wie nun das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf Anfrage der NZZ habe bekanntgeben müssen.

Von der Zusatzkompensation ab 45 profitiert nur, wer bis 65 Jahre arbeitet

Doch dem nicht genug: Die Linke und die Gewerkschaften hätten so verbissen für ihre eigenen Partikularinteressen gekämpft, dass sie ihre eigentliche Klientel vollkommen vernachlässigt hätten, nota bene die schwächsten künftigen Rentner – die ausschliesslich obligatorisch Versicherten im BVG. Das erkläre die panische Reaktion der Linken, als sie zu spät bemerkt habe, dass von der Zusatzkompensation ab Alter 45 nur profitiere, wer auch bis zum Rentenalter 65 arbeite. Doch ihre vehementen Interventionen beim BSV hätten vorerst nicht gefruchtet: Wie die zuständige Vizedirektorin Colette Nova gegenüber der NZZ kürzlich erneut erklärt habe, sei dies im Gesetz so vom Parlament verabschiedet worden.

Ausführungsverordnungen bergen weiteres Kostenpotenzial

Kaum überraschend habe der Bundesrat jedoch ein Schlupfloch gefunden: So biete der Gesetzestext einen gewissen Interpretationsspielraum, habe er im Rahmen der vor 10 Tagen in die Vernehmlassung verabschiedeten Ausführungsverordnungen verlauten lassen. Entsprechend habe er gleich zwei Varianten unterbreitet.

Die eine davon solle gesetzesergänzend das im Nachhinein festgestellte gewerkschaftliche Problem lösen: Auch wer zur Übergangsgeneration gehöre, und sich den vorzeitigen Ruhestand leistete, solle zusätzlich entschädigt werden. Kostenpunkt: weitere 100 Millionen Franken pro Jahr und ein Total von 2 Milliarden Franken für die Übergangsperiode von 20 Jahren, rechnet Kaiser vor. So stehe es in den Erläuterungen zu den Verordnungsentwürfen geschrieben. So dürfe man gespannt sein, welche bösen Überraschungen noch zu erwarten seien, so Kaiser.

BSV spricht von zusätzlichen 150 Millionen Franken pro Jahr

Kaiser fragt sodann, ob diese Zahlen überhaupt stimmen würden. Aufgrund der bekannten Kennzahlen zur Vorpensionierung liege diese Ziffer wohl noch viel zu tief. Gegenüber der NZZ habe das BSV nun bereits von 150 Millionen Franken pro Jahr gesprochen. Damit würden aus 6 Milliarden Franken für das Kompensationsmodell innert Kürze deren 12 Milliarden. Ob das Parlament dieser Scheinreform in Kenntnis dieser Fakten immer noch auf die Stimme genau zugestimmt hätte? fragt Kaiser. Einige Parlamentarier dürften sich jetzt wohl verschaukelt fühlen. Das Volk habe nun am 24. September 2017 die Chance, diesem Trauerspiel an der Urne ein Ende zu setzen.

Zu den Kostenauswirkungen siehe auch folgenden Link.

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